Wieviel Stromleitungen brauchen wir in Deutschland? Über diese Frage wird viel gestritten, denn jeder km neue Leitung kostet Geld und sorgt für Missstimmung bei den Anwohnern. Dass nicht für jede überschüssige Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien auch Transportkapazität zur Verfügung stehen muss, erläutert Dr. Henning Schuster, E-Bridge Consulting im Interview mit der Zeitschrift ew – Magazin für die Energiewirtschaft.
In einer Studie hat E-Bridge analysiert, wie der Netzausbau in optimaler Weise aussehen könnte. Ein großer Effekt auf den Investitionsbedarf und die Kosten ergibt sich, wenn das Netz nicht bis zur Aufnahme der letzten Kilowattstunde ausgebaut wird und Erzeugungsspitzen einfach gekappt werden. Kein Infrastruktursystem ist bis zur letzten Belastungsspitze ausgebaut: Auf unseren Straßen kommt es selbstverständlich zu Staus und an Silvester stehen auch nicht genügend Telefonleitungen für die Neujahrswünsche zur Verfügung.
Durch eine Kappung der Erzeugungsspitzen lässt sich rund die Hälfte der Investitionen einsparen, ist Schuster überzeugt. Der Einbau von regelbaren Ortsnetztransformatoren (RONT) kann weitere Kosten vermeiden. Daher hat E-Bridge dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorgeschlagen, auch im Verteilnetz bei notwendigem Netzausbau eine Abregelung von 3 % der Erzeugungsspitzen zu erlauben. Anlagenbetreiber solle für entgangene Einspeisungen entschädigt werden.
Über die Hälfte der Stromerzeugungsanlagen sind an das Verteilnetz angeschlossen. Bei den erneuerbaren Energien sind es sogar 97 Prozent. Der weitere Ausbau von Sonne und Wind erfordert erhebliche Netzinvestitionen, wenn man die erzeugten Kilowattstunden vollständig nutzen will. Nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) hat sich der abgeregelte Strom aus erneuerbaren Energien seit 2009 versechsfacht. Schuster geht davon aus, dass in den nächsten 10 Jahren rund 23 Mrd. Euro in die Verteilnetze investiert werden. Im Vergleich zu den Kosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), nach welchem die gleiche Summe jährlich anfällt, ist das ein geradezu überschaubarer Betrag. Umgelegt auf die gesamten Netznutzungsentgelte in Deutschland würde sich das in einem Anstieg von etwa 10 % bis 2032 bemerkbar machen. Der Strompreis würde dadurch im Durchschnitt um wenige Prozente steigen.
Regional sind die Unterschiede sehr groß und die Auswirkungen teilweise massiv, berichtet Schuster. Einige Netzbetreiber hätten einen Netzausbaubedarf von mehr als 70 % des bestehenden Netzes innerhalb der nächsten 20 Jahre und dies ist ausschließlich auf den Zubau an erneuerbaren Energien zurückzuführen. Die Energiewende findet überwiegend in der Region statt.
Besonders gefordert seien die Netzbetreiber im Norden und Osten Deutschlands, wo viele Photovoltaik- und Windanlagen stehen. In Ostdeutschland ist zudem relativ wenig Last am Netz, da müssen Investitionskosten auf weniger Kilowattstunden verteilt werden. In diesen Regionen wirke sich der Ausbaubedarf besonders auf die ohnehin schon höheren Netznutzungsentgelte aus und der Anstieg ist sehr viel höher als 10 Prozent. Die Untersuchungen gehen davon aus, dass etwa 100 Unternehmen in den nächsten Jahren massiv in die Infrastruktur investieren müssen.
Allerdings seien für den Netzbetreiber sind Investitionen in die IT und innovative Planungskonzepte erstmal nicht sehr attraktiv. Im Gegenteil: Investitionen in Kupfer erhöhen das Eigenkapital und genau diese Infrastruktur wird verzinst. Das bedeutet in der Tendenz steigende Netzentgelte. Durch innovative Planungsansätze wie die Spitzenkappung könnten Netzentgelte hingegen langfristig gesenkt werden.
Das vollständige Interview ist in ew 8 /2015 erschienen.