Mehr Bewusstsein für Energie und CO2

Anke Weidlich, Professorin am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH), Bildquelle: ESYS/Klaus Polkowski

Allein ein Umbau des Energiesystems wird nicht ausreichen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe Energiesysteme der Zukunft (ESYS) wird zusätzlich eine Nachfragereduktion, Prozessumstellungen in der Industrie und ein Kohlenstoffmanagement benötigt. Im Interview für die Zeitschrift ew – Magazin für die Energiewirtschaft erläutert Anke Weidlich, Professorin am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH), wie ein bewussterer Umgang mit Energie künftig aussehen kann. 

Die ESYS-Studie hat mit „Suffizienz“ einen neuen Begriff in die Debatte gebracht: Der etablierte heutige Lebensstil benötige viel Energie und habe sich auch nur so entwickeln können, weil Energie in der Vergangenheit günstig war, erläutert Weidlich. Suffizienz bedeute, dass ein reduzierter Endenergieverbrauch nicht notwendigerweise mit Wohlstandsverlust bedeutet. Es gehe darum, heutige Verbrauchsmuster dort zu ändern, wo sie mit weniger Energie auskommen könnten.

Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung überdenken

Als Beispiele nennt Weidlich Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung. Es gebe einen  hohen Anreiz, ein Stück außerhalb der Stadt auf großen Flächen zu bauen und dann lange Pendelwege in Kauf zu nehmen. Da sich mit dem Auto schnell große Strecken zurücklegen lasse, würden Pro-Kopf-Wohnfläche und Pendelstrecken insgesamt zunehmen. Menschen wollten aber nicht unbedingt viel Zeit im Auto verbringen, sondern Ziele erreichen, macht Weidlich deutlich.

Um beim Wohnen Effizienzen zu heben, sollte es für Menschen, die es praktischer finden, eine kleinere Fläche zu bewohnen auch günstiger werden, dieses umzusetzen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf sei auch deshalb so hoch, weil Menschen sehr lange in großen Häusern wohnen bleiben, die früher die ganze Familie beherbergt haben. Ein Umzug sei schwierig, wenn alte Mietverträge günstiger seinen als der Umzug in eine kleinere Wohnung.

Die Vorschläge der ESYS-Stellungnahme zielen darauf ab, die Lebensqualität bei niedrigerem Energieverbrauch auf gleichem Niveau zu halten. In einem Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien seien zwar zeitweise Überschüsse zu erwarten, aber insgesamt sei Energie eher knapp.  Bei der Umwandlung von Strom in andere Energieträger wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe gebe es zudem Verluste, so dass diese Energie nicht so günstig sein werde wie heute erdölbasierte Kraftstoffe. Für den Verkehrssektor werden kürzere Wege und einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs empfohlen. In Städten könne eine Priorisierung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs die Lebensqualität steigern.

Energiebedarf langfristig planen

Bei langfristiger Planung sie Energiessparen nicht notwendigerweise mit Einbußen in der Lebensqualität verbunden, betont Weidlich. So lasse sich bei der Wahl eines Autos oder einer Heizung der Energieverbrauch berücksichtigen. Wichtig sei daher ein Verständnis, dass CO2-intensive Lösungen deutlich teurer werden müssen. Wenn die Menschen wissen, wie der Pfad zu den Klimazielen aussehe, haben sie die Möglichkeit, die richtigen Lösungen zu wählen.

Zentrale Botschaft von ESYS ist, dass sehr viele Maßnahmen gleichzeitig umgesetzt werden müssen. Ein Vorankommen bei der Gebäudesanierung, der Elektromobilität und dem Ausbau von erneuerbaren Energien sei anspruchsvoll, aber bei entsprechender Prioritätensetzung durch die Politik machbar, macht Weidlich deutlich. Damit ergeben sich Pfade, die im Jahr 2045 netto-CO2-Emissionen von Null ermöglichen.

Das vollständige Interview ist in ew 5/2023 erschienen.

https://energiesysteme-zukunft.de/

ESYS-Stellungnahme: Wie wird Deutschland klimaneutral? Handlungsoptionen für Technologieumbau, Verbrauchsreduktion und Kohlenstoffmanagement

Bildquelle: ESYS – Klaus Polkowski

Energieversorgung 2022: Energieträger und Importe verändert

Vor gut einem Jahr haben die politischen Ereignisse die Standards der Energieversorgung durcheinander gewirbelt. Auf fehlende Gaslieferungen aus Russland hat Deutschland mit Importen aus anderen Ländern und Einsparungen reagiert. Strom wurde vermehrt aus Kohle und erneuerbaren Energien produziert. Ein Überblicksartikel dazu ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 2/2023 erschienen. 

Seit September 2022 fließt nach Angaben des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)  kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Die fehlenden Mengen wurden teilweise durch stärkere Importe aus den Niederlanden sowie über Leitungen aus Belgien und Frankreich ausgeglichen.

Seit September 2022 fließt kein Gas mehr aus Russland. Die Importe aus anderen Lieferländern sind leicht gestiegen. Quelle: BDEW

 

 

 

Hohe Erdgaspreise machen Gasverstromung unwirtschaftlich

Bereits Mitte 2021 war ein Trend steigender Erdgaspreise zu beobachten. Dieser verstärkte sich mit dem Krieg in der Ukraine deutlich. Insbesondere sorgten hohe Spotmarkt-Preise dafür, dass Gaskraftwerke aus dem Markt gedrängt wurden. Dadurch hat sich der Energiemix im Vergleich zum Vorjahr verändert: Die Stromerzeugung der Gaskraftwerke ging 2022 nach BDEW-Angaben um knapp 14 % zurück.

2022 wurden mehr erneuerbare Energien und Kohle für die Stromproduktion eingesetzt. Quelle: BDEW

Hinzu kam die Abschaltung von drei Kernkraftwerken zum Jahresende 2021. Diese Lücke wurde zu einem kleinen Teil durch erneuerbare Energien aufgefangen. Diese trugen 2022 insgesamt rund 45 Prozent zur Stromerzeugung bei. Der Anteil der Braun- und Steinkohlekraftwerke an der Stromerzeugung in Deutschland stieg auf rund 32 %.

CO2-Emissionen gestiegen

Für die Kohlendioxidemissionen der Energiebranche bedeutet dieser Erzeugungsmix ein Plus von 5 %. Mit 260 Millionen Tonnen wurden im Jahr 2022 drei Millionen Tonnen mehr CO2 emittiert als die Zielvorgabe vorsieht. Das entspricht einer Minderung von nur 44 % im Vergleich zu 1990. Nach dem Klimaschutzgesetz ist eine Reduktion um 45 % vorgeschrieben.

Energiewirtschaft verfehlt ihr CO2-Sektorziel

2022 sind die CO2-Emissionen der Energieerzeugung leicht gestiegen. Quelle: BDEW

Insgesamt ist der BDEW zuversichtlich, dass der Klimaschutz mittelfristig vorankommt: Trotz der Umwälzungen habe die Energiewirtschaft ihr Sektorziel nur knapp verfehlt. Dennoch: Diese Entwicklung sei für das Klima natürlich ein Rückschritt und die Branche müsse alles tun, um so schnell wie möglich wieder in die Spur zu kommen.  Dazu gehöre mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, beim Aus- und Umbau der Netze und bei der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes, betonte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW.

Für den kommenden Winter 2023/2024 zeigte sich Andreae optimistisch in Bezug auf die Versorgungslage und die Importterminals für Flüssiggas – Liquefied Natural Gas (LNG): „Die gute Nachricht: Deutschland kann Schnelligkeit. Das zeigt das Beispiel der LNG-Terminals.“ Deutschland habe es 2022 geschafft, sich an eine Situation anzupassen, die niemand erwartet habe. Die Notwendigkeit, sparsam mit Energie und den höheren Preisen umzugehen, bleibe aber auch in den kommenden Jahren bestehen. Ab dem Frühjahr 2023 müsse damit begonnen werden, die Gasspeicher mit Flüssiggas zu füllen.

Perspektive: Ausbau erneuerbarer Energien, Energiesparen und LNG-Importe

Mit einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, einem Rückgang der Gasverstromung, Effizienzmaßnahmen und einem sparsamen Umgang könne mittelfristig die Nachfrage sinken. Zudem gelte es, den Bau der weiterer LNG-Terminals voranzutreiben, neue Wasserstoff-Allianzen zu etablieren und möglichst viel Energie einzusparen, resümiert Andreae.

Bis Wasserstoff zum grundlegenden Energieträger wird, wird es noch eine Weile dauern. Kurzfristig muss die Gasbranche vor allem ihre Bezugsquellen weiter diversifizieren. Neben Investitionen in erneuerbare Energien, Wasserstoff, wasserstofffähige Gaskraftwerke und Energienetze ist es nach Einschätzung des BDEW wichtig, ein Marktdesign zu entwickeln, indem sich Investitionen in steuerbare Kapazitäten zur Stromerzeugung lohnen. Für diese müssten ökonomische Anreize geschaffen und die Genehmigungsprozesse vereinfacht werden.

Der gesamte Beitrag ist in EW – Magazin für die Energiewirtschaft 2/2023 erschienen.

Grafiken: BDEW

Energiegipfel 2023: Das Krisenjahr 2022 hat Mut zur Veränderung gebracht

Das energiewirtschaftliche Jahr beginnt mit dem Handelsblatt-Energiegipfel in Berlin, der 2023 auch online verfolgt wurde. Der Traditionstermin überraschte mit Themen, die lange tabu waren: Über die Abscheidung von CO2 und Einspeicherung im Boden (Carbon-Capture-and-Storage – CCS), Flüssiggasimporte (Liquified Natural Gas – LNG), schwimmende Importterminals für Flüssiggas (Floating Storage and Regasification Unit – FSRU), europäische Industriestrompreise und Kapazitätsmärkte zur Förderung von Kraftwerksinvestitionen wurde intensiv diskutiert.

Handelsblatt-Energie-Gipfel 2023 in Berlin

Berlin-Mitte, bcc Berlin Congress Center am Alexanderplatz, 16.01.2023: Handelsblatt Energie Gipfel 2023: 
Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Foto: Dietmar Gust / EUROFORUM

Nach dem Krisenjahr 2022 zeigten sich Branchenvertreter verhalten zuversichtlich. Anfang Januar 2023 waren die Gasspeicher noch gut gefüllt und es war innerhalb weniger Monate gelungen, drei Flüssiggasterminals zu installieren und einen Teil der fehlenden Gasmengen aus Russland zu ersetzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stufte in seiner Rede die Krise als handhabbar, aber noch nicht beherrscht ein.

Etwas leiser waren die Stimmen, die die Hintergründe der relativ guten Versorgungslage mit Gas erläuterten. Von den geforderten Einsparungen waren bei den privaten Haushalten 14 Prozent erreicht worden, wie Klaus Müller, Bundesnetzagentur, ausführte. Andreas Feicht, Rheinenergie, berichtete, dass ein Großteil der Sparmaßnahmen von der Industrie erbracht worden sei, die Wärmeprozesse auf andere fossile Energieträger umgestellt hätten. Zeitweise sei es für Industrieunternehmen lukrativer gewesen, ihre langfristig eingekauften Energiemengen wieder am Markt zu verkaufen und die Produktion herunterzufahren. Für die Industrie habe es anstelle von Glas- oder Zementgeld Strom- und Gasgeld gegeben, brachte Maik Render, N-Ergie, die Entwicklung auf den Punkt.

CCS wird zur Option

Habeck betonte in seiner Rede die Bedeutung von CCS, was bisher in Deutschland verboten ist. Für eine Einlagerung von Kohlenstoff im Boden müssten geeignete Lagerstätten gefunden werden. Diese könnten auch im Ausland liegen, so dass ein grenzüberschreitender Handel möglich werden müsse. Beispielsweise habe Dänemark angekündigt, CO2 im Boden verpressen zu wollen.

Die wegweisende Aussage zu CCS wurde von der Branche mit Interesse verfolgt. Klaus Langemann, Wintershall, begrüßte die Ankündigungen des Wirtschaftsministers ausdrücklich. Das Unternehmen will Wasserstoff aus Erdgas – sogenannten blauen Wasserstoff – in Wilhelmshaven produzieren und das dabei entstehenden CO2 nach Norwegen exportieren. Im Projekt „NOR-GE“ planen Wintershall DEA und Equinor eine 900 Kilometer lange Pipeline zu Speicherstätten in Norwegen. Diese soll eine Transportkapazität von jährlich 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 haben, was nach Angaben von Wintershall DEA etwa zwanzig Prozent der Industrieemissionen pro Jahr in Deutschland entspricht.

Flüssiggasimporte sollen Gasversorgung sichern

LNG-Terminals waren in Deutschland schon seit vielen Jahren in der Planung. Die Umsetzung scheiterte vor allem an wirtschaftlichen Gründen. Die Preise für das importierte Flüssiggas per Tanker lagen deutlich höher als für die Gas-Lieferungen per Pipeline. 2022 änderte sich diese Situation und die vorgeplanten Projekte konnten schnell umgesetzt werden. Die Geschwindigkeit überraschte Politik, Wirtschaft und Behörden gleichermaßen und wurde als neue „Deutschlandgeschwindigkeit“ mehrfach zitiert. Mit diesen Erfahrungen wächst die Hoffnung, dass auch der Ausbau von erneuerbaren Energien deutlich schneller gehen kann.

Holger Kreetz, Uniper berichtet vom Spezialschiff Esperanza in Wilhelmshaven
– Handelsblatt Energiegipfel 2023 in Berlin am 17.01.2023 . Copyright: Marc-Steffen Unger

Marktregulierung bei Preisen und Investitionen

2022 war auch das Jahr der Markteingriffe: Übernahmen von Energieunternehmen durch den Staat und Eingriffe in die Preisdynamik waren kurzfristig notwendig, um die kritische Situation bei Unternehmen und Haushalten zu stabilisieren. Eine Rückkehr zu mehr Markt deutet sich derzeit nicht an. Habeck kündigte eine Regelung der Industriestrompreise ähnlich wie bei Haushaltkunden an. Diese müsse europäisch abgestimmt sein.

Wasserstoffwirtschaft in den Startlöchern

Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt gemessen an den Klimazielen langsam voran. Für 2023 hofft die Regierung, dass die gesetzlichen Änderungen für eine Beschleunigung sorgen. Daneben ist das große Ziel eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Bisher gibt es noch keinen Rechtsrahmen für ein Pipelinesystem, dass zum Teil durch einen Umbau der Gasleitungen entwickelt werden soll. Egbert Laege, SEFE – Security Energy für Europa, motivierte daher zu neuen Ideen und schlug vor, kurzfristig grünen Wasserstoff im Container aus Norwegen zu importieren.

Auch Kraftwerke sollen künftig so gebaut werden, dass sie zunächst mit Gas und später mit Wasserstoff betrieben werden können. Diese sogenannten „Peaker“ sollen nach Einschätzung von Habeck, die Aufgabe bekommen, als Backup für volatile Photovoltaik- und Windanlagen die Stromversorgung in wind- und sonnenarmen Zeiten zu sichern. Dabei sollten sie möglichst selten laufen. Wie sich ein solcher Einsatz für den Betreiber rechnet, wird im Rahmen eines neues Marktdesign noch diskutiert werden.

Zukunftstechnologien erweitern die Möglichkeiten

Ob sich die Energietransformation mit den heute vorhandenen Technologien umsetzen lässt ist offen. Ein wichtiger Schritt wäre eine Digitalisierung der Netzinfrastruktur mit Smart Metern. Hierzu hat der Wirtschaftsminister Ende 2022 einen Neustart angekündigt. Neben dieser von vielen Branchenvertretern als zentral eingeschätzten Investition könnte die Zukunft noch andere Möglichkeiten bringen.

Aus heutigen Forschungsprojekten lässt sich ableiten, dass die künftige Energieversorgung  noch nicht entschieden ist.  Josef Aschbacher, European Space Agency, erläuterte die Möglichkeit, Solarenergie im Weltall zu gewinnen. Das Unternehmen Climeworks berichtete von einer gestiegenen Nachfrage nach seiner Technologie, die CO2 aus der Luft filtert. Der gewonnene feste Kohlenstoff kann als Pflanzenkohle im Boden gespeichert werden. Auch die Atomenergie entwickelt sich global weiter. China beschäftige sich mit der Erforschung von Minireaktoren, berichtete Eveline Steinberger, The Blue Minds Company.

https://veranstaltungen.handelsblatt.com/energie/

Bildquelle: Handelsblatt-Energie-Gipfel

#HBEnergie

Wärmeplanung der Kommunen: Viele rechtliche Fragen sind noch unbeantwortet

Woher soll die Wärme in Zukunft kommen? Aus dem Gas-, Strom- oder Fernwärmenetz?  Mit diesen Fragen zur Wärmeplanung beschäftigen sich derzeit viele Kommunen. Denn die Klimaziele zwingen zum Umdenken und bestehende Vertragsbindungen mit der Energiewirtschaft laufen fristgemäß aus. Um den Rechtsrahmen klarer zu gestalten, hat die Stiftung Umweltenergierecht einen Vorschlag gemacht. In der Ausgabe 7-8/2022 der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft erläutern Julian Senders und Oliver Antoni die Einzelheiten.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Wärme und Strom gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Kommunen. Einige Bundesländer haben dazu eine sogenannte Wärmeplanung gesetzlich vorgeschrieben: So muss in Baden-Württemberg jede Gemeinde eine Bestandsanalyse, Potenzialanalyse und ein klimaneutrales Szenario 2040 erarbeiten. Auch Schleswig-Holstein hat eine Wärmeplanung vorgeschrieben. In Berlin gilt nach dem Energiewendegesetz, dass der Netzbetreiber das Land bei der Erreichung seiner Ziele unterstützen soll.

Die Stiftung Umweltenergierecht hat das Instrument der Wärmeplanung im Rahmen eines Zuwendungsprojekts des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz  analysiert und kommt zu einer positiven Bewertung: „Gerade aufgrund der Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort kann ein solcher Plan sehr individuell ausfallen und kleinteilige Potenziale erschließen. Ein wichtiger Aspekt der Planung ist der Ausbau von Wärmenetzen, die auch in Konkurrenz zu bereits vorhandenen Gasnetzen stehen können,“ erläutert Projektleiter Oliver Antoni.

Oliver Antoni, Stiftung Umweltenergierecht, plädiert für eine Erweiterung des Konzessionsrechtes.  Bildquelle: Manuel Reger

 

Aus juristischer Sicht ist die Wärmeplanung bisher einen interner Plan der Behörde. „Die Maßnahmen könnten im Einzelnen den Ermessensspielraum der Behörden einschränken, wenn eine Entscheidung mit der Planung offensichtlich im Widerspruch stünde“, analysiert der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Senders.

Julian Senders, Stiftung Umweltenergierecht hat die Rechtslage bei der Planung der Wärmeversorgung untersucht.

Julian Senders, Stiftung Umweltenergierecht, hat die Rechtslage der kommunalen Wärmeplanung  untersucht.    Bildquelle: Manuel Reger

 

Konzessionsrecht mit Klimaschutz verbinden

Um die Rechtslage zur Wärmeplanung zu klären, schlägt die Stifung Umweltenergierecht eine Erweiterung des Konzessionsrechts vor. Denn gesetzlich klar geregelt ist die Beziehung der Betreiber von Energienetzen und der Gemeinde: Verlaufen Leitungen öffentlichen Grund, schreibt die Kommune Konzessionen aus. Der Betreiber, der den Zuschlag erhält, bekommt gegen Gebühr ein Wegenutzungsrecht.

Nach Einschätzung der Rechtsexperten könnte eine Änderung des Konzessionsrechts für deutlich mehr Dynamik beim Klimaschutz sorgen. Eine Bundesrechtsverordnung regelt derzeit das Nebenleistungsverbot, so dass sich die Konzession sehr eng auf den reinen Netzbetrieb beschränkt. Durch Lockerung dieses Verbots und eine Flexibilisierung bei der Handhabung der Vergabekriterien, wäre es möglich, einen klimaschutzorientierten Netzbetrieb zu fördern.

Letztlich ist das Konzessionsrecht die Grundlage, um die Bevölkerung mit Energie zu versorgen: „Die Kommunen sind nicht nur im Eigentum öffentlicher Straßen, sondern sie haben auch eine Verpflichtung zur Daseinsvorsorge. Diese Verantwortung überträgt eine Gemeinde an einen Netzbetreiber, indem sie ihm den Zuschlag für eine Konzession erteilt“, macht Antoni deutlich.

Für den Netzbetreiber schafft das Konzessionsrecht Verlässlichkeit. Der Aufbau einer Netzinfrastruktur ist eine Investition über Jahrzehnte und so wird ein Konzessionsvertrag üblicherweise über 20 Jahre abgeschlossen.

In den kommenden Jahren laufen in vielen Kommunen die  Konzessionen aus und müssen neu ausgeschrieben werden. Bei der Neuvergabe von Konzessionen hat die Gemeinde bestimmte Regeln zu beachten: Kriterien sind  Umweltverträglichkeit, zunehmende Versorgung mit erneuerbaren Energien, Preisgünstigkeit und Effizienz. Kommunalwirtschaftliche Interessen dürfen hingegen nicht berücksichtigt werden.

zwei Dekaden für die Umstellung auf erneuerbare Energien

Mit einer neuen Ausschreibung werden auch die bisherigen Konzepte der Energieversorgung hinterfragt. Denn die Klimaziele erfordern eine zügige Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien.  „In spätestens 22 Jahren soll eine fossile Energieversorgung Geschichte sein. Daraus ergibt sich, dass eine Kommune bereits bei der Neuvergabe von Konzessionen die Energieversorgung in 20 Jahren mitdenken muss“, betont Antoni.

Um CO2 insgesamt zu vermeiden, sei eine gleichzeitige Betrachtung der Gas-, Strom- und Wärmenetze sinnvoll. Bisher würden Konzessionsverträge aber für Strom-, Gas- und Fernwärmenetze getrennt  geschlossen. „Zukünftig sollten Netzbetreiber stärker integriert planen und sich mit weiteren Akteuren abstimmen,“ so Antoni.

„Im Sinne des Klimaschutzes brauchen wir einen Rechtsrahmen, der eine abgestimmte Planung zwischen den Sektoren ermöglicht und eine weitergehende Verantwortung von Netzbetreibern und Energieversorgern für den Klimaschutz zulässt“, ergänzt Senders. Um einen bundesweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, müsse der Bund die Länder per Gesetz auffordern, entsprechende Regelungen für die Kommunen zu erlassen.

 www.stiftung-umweltenergierecht.de

Studie Wärmeplanung und Gaskonzessionen

Der vollständige Überblicksartikel und das Interview mit Projektleiter Oliver Antoni ist in EW 7-8/ 2022 erschienen.

Bestandsaufnahme Energiewende im Januar 2022: Es gibt viel zu tun.

Handelsblatt-Energiegipfel 2022 in Berlin

Hybrider Branchentreff im Januar 2022: Online und auf der Bühne viel Diskussion um die Energiewende. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel

Der jährliche Branchentreffpunkt „Handelsblatt-Energiegipfel“ Mitte Januar zeigt die Agenda der aktuellen Energiethemen zu Beginn des neuen Jahres. Für 2022 fällt die Bilanz gemischt aus. Fortschritte bei der Dekarbonisierung gibt es, aber sie bleiben hinter den Zielen zurück. Gesucht wird die konkrete Gestaltung eines neuen Energiesystems und einer klimaneutralen Wirtschaft.

Auf der Branchenveranstaltung zum Jahresauftakt kamen Vertreter aus Energiewirtschaft, Verkehrssektor, Industrie, Politik und Wissenschaft in Berlin und digital zusammen und zeigten insgesamt ein großes Verständnis für den Transformationsprozess und die nötigen Schritte. Dekarbonisierung der Wirtschaft wird vor allem verstanden als eine Stromproduktion aus Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen, Gaskraftwerke als Unterstützung sowie eine Wasserstoffinfrastruktur als Speichermedium und Rohstoffbasis für die industrielle Produktion insbesondere in der Chemie- und Stahlindustrie.

Das Ziel: Klimaneutralität und günstige Energieversorgung

Robert Habeck betonte die Notwendigkeit des Umbaus und der staatlichen Unterstützung. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz betonte die Notwendigkeit von Emissionssenkungen in allen Branchen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden könne. Er sieht in der Überwindung des fossilen Energiesystems zudem die Chance auf eine günstigere Energieversorgung durch erneuerbare Energien, wenn die nötige Infrastruktur mit Erzeugungsanlagen, Netzen und Elektrolyseuren erst einmal aufgebaut sei. Für Investitionen in die Dekarbonisierung kündigte er staatliche Unterstützung an.

Klimafreundliche Mobilität als persönliche Entscheidung

Neben Energiewirtschaft und Industrieproduktion ist die Transformation auch eine Aufgabe für den Verkehrssektor. Bundesverkehrsminister Volker Wissing appellierte an jeden einzelnen Bürger, einen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Ob E-Auto, Hybrid, Fahrrad oder öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) – jeder solle entscheiden, welche Form der klimafreundlichen Mobilität für ihn passe. In ländlichen Regionen werde weiterhin der Individualverkehr benötigt, während in den Metropolen ein dichtes Angebot durch den ÖPNV möglich sei. Viele Menschen wünschten sich zudem den Ausbau von Radwegen.

Die Vielfalt der Wege zu mehr Klimaschutz steht auch für den Prozess der Transformation als Ganzes. Zentral bleibt dabei die Frage, was grüne Energie ist und wie diese in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen kann. Auf europäischer Ebene wurde Ende 2021 in der EU-Taxonomie die Klimafreundlichkeit von Investitionsvorhaben definiert. Dieser Rahmen soll Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichten und damit  Finanzinvestoren die Bewertung erleichtern, ob eine Anlage nachhaltig im Sinne des Klimaschutzes ist.

EU-Taxonomie zur Bewertung grüner Investitionen umstritten

Auf dem Handelsblatt-Energiegipfel 2022 äußerten sich viele Branchenvertreter kritisch zu den jüngsten europäischen Vorgaben. Im Zentrum der Bedenken stehen die geplanten Bewertungen von Investitionen in Kern- und Gaskraftwerke. Aus deutscher Sicht ist unverständlich, dass die europäischen Vorgaben Investitionen in Atomkraftwerke als klimafreundliche Energieerzeugung einstufen. Zwar entsteht bei der Stromerzeugung kein CO2, allerdings wird die Technologie selbst und die damit verbundenen radioaktiven Abfälle in der deutschen Gesellschaft als ein zu großes Risiko wahrgenommen.

Kritisiert wurden zudem die Vorgaben der EU-Taxonomie für Gaskraftwerke als zu rigide. Die Branche sieht darin einen Widerspruch zum großen Bedarf in Deutschland an Backup-Kraftwerken als Ergänzung zur fluktuierenden Einspeisung aus Photovoltaik und Windanlagen. Die stark einschränkenden Vorgaben in Bezug auf  Größe und technische Ausstattung könnten zur Folge haben, dass Investitionen in Gaskraftwerke ausbleiben.

Abseits der Diskussionen über den Ausbau von Erzeugung, Netzen und Speichern mit vorhandenen Technologien entwickeln sich auch neue Verfahren der Energiegewinnung. Das Startup Marbel Fusion aus München stellte eine Methode vor, mit Lasertechnologie eine Kernfusion zu erzeugen. Die geplanten Kraftwerke sollen in der Lage sein, Strom CO2-frei und sicher zu erzeugen.

Keine Denkverbote: Diskussion über technische Möglichkeiten von Kernfusion, CO2-Abscheidung und Speicherung. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel.

Forschung an Fusionskraftwerken

Grundlegend für die Entwicklungen von Marbel Fusion sind Fortschritte bei Lasertechnik und Plasmaphysik. Insbesondere jüngste Innovationen der Laser- und Materialwissenschaft ermöglichten ultrakurzgepulstete, hochintensive Laser und nanostrukturierte Treibstoffe. Bei der Verwendung von Wasserstoff und Bor als Fusionstreibstoffe entstehen nach Unternehmensangaben keine problematischen Abfälle. Fusionskraftwerke könnten nach Einschätzung von Marvel Fusion ab den 2030er Jahren an bestehenden Kraftwerksstandorten alte Anlagen ersetzen und Ballungsräume und energieintensive Industrien versorgen.

https://marvelfusion.com

https://veranstaltungen.handelsblatt.com/energie/

Mehr als eine Idee: Wasserstoff anstelle von Erdgas

Für die einen ist das Gasnetz die Basis für eine CO2-neutrale Wirtschaft. Für die anderen ist es ein Relikt aus dem fossilen Zeitalter, das sie lieber heute als morgen hinter sich lassen möchten. Tatsächlich gibt es für beide Positionen gute Argumente, wie auf der Handelsblatt Jahrestagung Gas 2021 deutlich wurde. Bekannt sind vor allem die Einsparziele für die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren. Der Weg dorthin führt in großen Teilen durch unbekanntes Terrain.

Es ist ein Fakt, über den das Mutterland der Energiewende vielleicht lieber hinweg sehen würde: Auch nach über 20 Jahren Förderung der erneuerbaren Energien wird die Energieversorgung in Deutschland wesentlich durch fossile Energien gedeckt. Im ersten Halbjahr 2021 war Erdgas in Deutschland der wichtigste Primärenergieträger, gefolgt von Mineralöl. Strom aus erneuerbaren Energien belegte Platz 3, wobei die Produktion aus Wind im ersten Halbjahr 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 21 % niedriger als im stürmischeren Vorjahr.

Die Dimension des Gasverbrauchs in Deutschland ist ein Grund, weshalb viele Branchenvertreter davon ausgehen, dass auch in Zukunft weiterhin Gas durch das 511.000 km lange Netz strömen wird. Flexible Gaskraftwerke können die Stromversorgung absichern und so wetterbedingte Produktionsschwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen. Die Sicherheit der Stromversorgung lässt sich derzeit ohne Gas nicht vorstellen.

Heute Erdgas, übermorgen Wasserstoff – und morgen?

Bis 2045 – dem Jahr der Klimaneutralität – ist nicht mehr lange hin, daher lastet auf der Planung der künftig benötigten Infrastruktur ein enormer Zeitdruck. Ludwig Möhring, Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), unterstütze in der Online-Debatte die Zielsetzung einer Klimaneutralität und forderte, die Umsetzung zu gestalten. Er erwartete eine stärkere Elektrifizierung, vermisste aber eine Debatte über die Rolle von Gas im Wärmemarkt und in der Stromerzeugung. Das derzeitige Narrativ ermögliche keinen Weg zu einer Transformation.

Wie die Gasinfrastruktur in Zukunft genutzt werden kann, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. In einer dekarbonisierten Wirtschaft soll Erdgas langfristig durch Wasserstoff ersetzt werden, der ebenfalls über ein Pipelinesystem transportiert werden könnte. Ob dieses künftig benötigte Leitungssystem allerdings mit dem heutigen vergleichbar ist, ist noch offen. Denn es lässt sich schwer prognostizieren, in welchem Maße Haushalte und Industriezentren Wasserstoff nutzen werden.

Von Erdgas zu Wasserstoff – mehr als ein Austausch der Moleküle

Wasserstoff, der über einen Elektrolyseur aus erneuerbarem Strom produziert wird, gilt als Königsweg einer künftigen Energiesystems. Klarer Vorteil ist die CO2-freie Energie mit hoher Dichte. Wasserstoff lässt sich ähnlich nutzen wie Erdgas, ist aber als Rohstoff um ein vielfaches teurer und stellt höhere Anforderungen an die Sicherheit. Ob die privaten Verbraucher künftig mit Wasserstoff heizen oder sich preiswertere Alternativen suchen, ist offen. Je nach Einschätzung wird Wasserstoff als Champagner oder Mineralwasser der Energiewende gesehen.

Im Prinzip lässt sich das Gasnetz auch für eine Beimischung von Wasserstoff nutzen. Dadurch lässt sich der Energiegehalt des Gases erhöhen – bei gleichzeitig geringeren CO2-Emissionen. Die bedeutet allerdings einige technische Veränderungen, um den Eigenschaften des Wasserstoffs Rechnung zu tragen.

So benötigt der Transport des trägeren Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas deutlich mehr Energie. Evgeniy Grin, PJSC Gazprom aus St. Petersburg, Russland, erläuterte, dass eine Beimischung von Wasserstoff mehr als viermal soviel Energie benötige, um auf einen Druck von 80 bar zu bekommen. Beimischungen seien auch aus einem anderen Grund problematisch: Viele Kunden benötigten reines Erdgas. Grin warnte zudem vor technischen Risiken von Lekagen, da das Pipelinesystem nicht dafür ausgelegt sei.

Transport von Erdgas und Wasserstoff im Vergleich

Auf der Suche nach Lösungen

Es gibt einige Antworten auf die vielen offenen Fragen des künftigen Energiesystems: Eine Strategie setzt auf maximale Offenheit. Neue Gaskraftwerke sollen grundsätzlich Wasserstoff-Ready sein, d.h. solange Erdgas verfügbar ist, sollen sie mit Erdgas laufen. Steht Wasserstoff zur Verfügung könnten sie auch den Strom aus Wasserstoff erzeugen. Roger Miesen, RWE Generation SE gibt allerdings zu bedenken, dass die Wasserstoffkraftwerke durch eine Wasserstoffpipeline versorgt werden müssten, die es heute noch nicht gebe. Ohnehin sei unklar, ob sich die Investition in ein Gaskraftwerk rechne, wenn dies nur als Back-up für fehlenden Strom aus Photovoltaik und Windanlangen in Betrieb sei.

Jochen Homann, Bundesnetzagentur, betonte die Bedeutung einer gründlichen Planung eines Wasserstoffnetzes. Diese hänge davon ab, wo der Wasserstoff eingesetzt werde. Homann hob die Bedeutung einer systemischen Gesamtschau und von klaren Zielvorgaben hervor, wo der Wasserstoff eingesetzt werden soll. Er berichtete von zahlreichen Projekten zur Produktion von Wasserstoff. Sollten diese alle umgesetzt werden, würde das sogar die erwartete Nachfrage übersteigen.

Bildquellen: Zukunft Gas; Gasprom

www.veranstaltungen.handelsblatt.com/gas/