E-Mobilität: Mehr Ladesäulen – mehr Fahrzeuge – mehr Ladesäulen – mehr…

Als die ersten Elektroautos auf den Markt kamen, beschäftigte viele Fahrer die Sorge, rechtzeitig eine Ladesäule zu finden. E-Fahrzeuge brauchen Stromtankstellen und umgekehrt. Eines der  “Henne-Ei-Probleme”, von denen die Energiewende viele bereithält. In der Praxis finden sich nun Lösungen. Nach einer Umfrage des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist die Zufriedenheit der E-Mobilisten ist sehr hoch und 98 Prozent würden auf jeden Fall wieder ein Elektroauto kaufen. Der Beitrag ist in voller Länge in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft Ausgabe 11/2022 erschienen.  

Autofahrer von Diesel- oder Benzinfahrzeugen haben eine andere Meinung vom elektrischen Fahren als die E-Mobilisten. Auch letztere haben sich vor dem Kauf mit möglichen Problemen beschäftigt. Im Alltag zeigte sich dann, dass die Bedenken unbegründet waren.

E-Autos kommen bei den Nutzern gut an.

Fahrer von E-Autos sind mit ihrer Entscheidung zufrieden. Quelle: BDEW

Durchgeführt wurde die Online-Erhebung von UScale im Juli und August 2022 im deutschsprachigen Raum. Die Fahrzeuge der 1.300 Befragten waren im Mittel zwei Jahre alt und die Vielfahrer hatten bereits drei Jahre Erfahrungen mit einem eigenen elektrischen Auto gesammelt. Zwei Drittel fahren mit dem E-Auto auch in den Urlaub.

Kerstin Andreae, BDEW, beobachtet eine hohe Zufriedenheit bei der E-Mobilität. Bildquelle: BDEW/Truschel.

„In der öffentlichen Diskussion über Elektromobilität fehlt bislang oft die Perspektive derjenigen, die Elektromobilität Tag für Tag nutzen. Wir haben nachgefragt und sehen nun, dass die Zufriedenheit insgesamt sehr hoch ist und das Ladeangebot deutlich besser ist als sein Ruf,“ erklärt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

Die gesellschaftliche Debatte sei anfangs von Zweifeln an der Reichweite des Elektroautos geprägt gewesen, erläutert Andreae. Reichweitenangst sei nur für ein Prozent der Befragen ein Thema. Inzwischen sei das Vertrauen in die Technologie sehr hoch. Während die ersten E-Autofahrer überwiegend durch ökologische Vorteile motiviert waren, rücke nun das Fahrerlebnis und die niedrigen Betriebskosten in den Blick, so ein weiteres Ergebnis. Sorgen bereiten den E-Mobilisten lange Lieferzeiten und hohe Anschaffungskosten.

Ladesäulen sind im Alltag verfügbar

Die Verfügbarkeit von öffentlichen Ladesäulen, Lade-Apps und Ladestandorte sei deutlich besser geworden. Nach Auskunft der Befragten wird das Fahrzeug bei der Hälfte der Fahrer ein oder zweimal pro Woche geladen – an ganz unterschiedlichen Orten: Drei Viertel der Befragten laden ihr Fahrzeug zuhause, ein Viertel hat eine Möglichkeit beim Arbeitgeber. Ein Drittel der Befragten gab an, Lademöglichkeiten auf Kundenparkplätzen gelegentlich zu nutzen.

Aus Sicht der drei BDEW-Mitgliedsunternehmen Allego, EnBW und Stromnetz Berlin ist die Entwicklung auf einem guten Weg. Die Unternehmen glauben an den Markt und investieren, auch wenn das Geschäft aus betriebswirtschaftlicher Sicht eher langfristig interessant ist.

Ulf Schulte, Allego Bildquelle Allego

Ulf Schulte, Geschäftsführer, Allego sieht die Entwicklung auf einem guten Weg: „Elektromobilität erlebbar machen ist enorm wichtig, um Berührungsängste abzubauen und zu zeigen, dass diese alltagstauglich ist.“

Um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, will Allego eine eigene Strombeschaffung aufbauen und die Ladesäulen trotz derzeit sinkender Margen weiter betreiben. Auch bei EnBW sind Fragen der Energiebeschaffung und Auslastung auf der Agenda.

Während in ländlichen Regionen mit vielen Eigenheimen eine Ladesäule auf dem eigenen Grundstück untergebracht werden kann, spielt in Großstädten das öffentliche Laden eine größere Rolle und das Ladenetz wird kontinuierlich verdichtet.

Claudia Rathfux, Stromnetz Berlin. Bildquelle Stromnetz Berlin

„Seit 2019 befinden wir uns in einem exponentiellen Wachstum in Berlin. Mittlerweile gibt es 13.000 Ladepunkte in der Hauptstadt – davon etwa 1.700 im öffentlichen Raum,“ berichtet Claudia Rathfux, Prokuristin und Leiterin Kunden- und Marktbeziehungen, Stromnetz Berlin, von den Entwicklungen.

Bis 2030 sollen 2.000 weitere öffentliche Ladepunkte durch die Berliner Stadtwerke und weitere 1.500 durch Dritte aufgebaut werden. Zudem sind pro Berliner Bezirk zwei Schnellladezentren geplant.

Viele Möglichkeiten ein E-Auto zu Landen

Das E-Auto bekommt überall Strom: Zuhause, am Arbeitsplatz oder auf Kundenparkplätzen. Quelle: BDEW

Hochgeschwindigkeitsladen wird ausgebaut

Nicht nur die Anzahl der Ladesäulen ist in Deutschland gestiegen, auch die Technologie des Ladens wird weiter entwickelt. EnBW hat sich auf das Hochgeschwindigkeitsladen spezialisiert und will über High-Power-Charging mit einer Ladeleistung ab 150 KW den Alltagsnutzen der E-Mobilität massiv steigern. Die neue Infrastruktur soll kürzere Ladezeiten ermöglichen. EnBW baut das Schnellladenetz an Autobahnen, Landstraßen und in Innenstädten in der Nähe von Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten aus.

Timo Sillober, EnBW Bildquelle: EnBW/Endre Dulic

„Gegenwärtig gibt es in Deutschland mehr als 12.000 Schnellladepunkte“, schätzt Timo Sillober, Chief Sales & Operations Officer, EnBW.

 

EnBW hat 800 Standorte mit 2.000 Ladepunkten gebaut und will bis Jahresende auf 1.000 Standort mit 3.000 Ladepunkten hochskalieren. Der Aufbau der Infrastruktur laufe mit dem Markt einher. An Ladeparks seien mehrere Ladesäulen verfügbar. Das Unternehmen beobachtet keine Überauslastung.

Für einen weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur werden noch viele Flächen benötigt. Das Laden von Elektrofahrzeugen sei etwas anderes als das Tanken, denn die Ladeinfrastruktur müsse in den Alltag integriert werden, macht Schulte deutlich. Allego schließt dazu Partnerschaften mit Supermärkten, Baumärkten und Autohäusern über den Betrieb von Ladesäulen für zehn bis zwanzig Jahre. Kommunale Flächen seien hingegen schwieriger zu erschließen.

Aufgabe für den Staat: Beschleunigung der Genehmigungsprozesse

Die Rolle des Staates sehen die Unternehmen vorrangig bei einer Beschleunig der Genehmigungsprozesse und einer Weiterentwicklung des Gesamtsystems. Die Ladeinfrastruktur für elektrisches Fahren könne im Wesentlichen durch die Privatwirtschaft aufgebaut werden. Schwierigkeiten beim Ausbau der Ladeinfrastruktur bereiten der Energiebranche vor allem regulatorische Hemmnisse.

Nach einem Vorschlag des BDEW soll sich das gesamte System der E-Mobilität noch nutzerfreundlicher werden. Wichtig sei vor allem ein reibungsloses Zusammenspiel der Akteure. Über eine App auf dem Smartphone sei ein vollautomatisches Laden möglich. Dazu gehöre auch, dass der Vertrag im Fahrzeug hinterlegt sei, die komplette Ladeinfrastruktur im Navigationsgerät angezeigt werde und der Batterieladezustand in der Routenplanung berücksichtigt werden. Um ein bidirektionales Laden zu ermöglichen, müssten Aggregatoren einen Zugriff auf die Batterie im Fahrzeug bekommen.

Der vollständige Beitrag ist in EW 11/2022 erschienen.

Bildquellen: Stromnetz Berlin, EnBW/Andre Dulic, Allego, BDEW/Trutschel

http://www.bdew.de

www.enbw.com

www.allego.eu

http://www.stromnetz.berlin

Klimaschutz auf der Straße: Anderer Brennstoff oder andere Mobilität?

Im Straßenverkehr entsteht viel CO2. Um das Fahren künftig klimafreundlicher zu gestalten, werden E-Fahrzeuge und Kraftstoffe auf Basis von grünem Wasserstoff entwickelt. Ob es damit aber möglich ist, die bisherigen Verbrennungsprozesse zu ersetzen, ist aus verschiedenen Gründen noch offen. Vielleicht muss sich auch die Mobilität insgesamt ändern. Im Forschungsprojekt Kopernikus entwickeln Wissenschaftler daher gemeinsam mit Bürgern und Unternehmen verschiedene Wege zu mehr Klimaschutz im Straßenverkehr.

Das Projekt Kopernikus wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und bearbeitet mit seinen vier Teilprojekten Ariadne, Ensure, P2X und Synergie unterschiedliche Schwerpunkte der Energiewende. Für den Verkehrssektor untersuchen die Forscher, welche Antriebsenergien es gibt und wie eine Verkehrsinfrastruktur aussehen könnte.

Mineralöl hat den größten Anteil am Primärenergieverbrauch

Deutschland importiert rund 70 des Primärenergiebedarfs. Davon ist etwa ein Drittel Mineralöl, das zu zwei Dritteln im Verkehrssektor landet und etwa 20 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verursacht. Mit der heutigen Struktur des Energieverbrauch wird es nicht ausreichen, allein den Stromsektor klimaneutral zu gestalten. Auch der Verkehrssektor muss seine Verbrennungsprozesse verändern, um die Klimaziele zu erreichen.

Antriebswende: Autofahren ohne CO2

Um Emissionen im Straßenverkehr künftig zu vermeiden, wäre ein Weg, CO2-freie Energiequellen für die Mobilität zu nutzen. So geht das in den Teilprojekten ENSURE und P2X untersuchte Konzept einer Antriebswende davon aus, dass Fahrzeuge vermehrt mit grünem Strom und alternativen Kraftstoffen fahren. Allerdings wäre der Strombedarf für die heute geleisteten Fahrstrecken erheblich.

Stephan Rupp, stellvertretender Teilprojektleiter im Kopernikus-Projekt ENSURE und zuständig für die Geschäftsentwicklung Leistungselektronik bei der Maschinenfabrik Reinhausen macht die Dimension einer Elektrifizierung der Mobilität deutlich: „Das Stromnetz transportiert 600 Terawattstunden. Der Straßenverkehr hat einen Energiebedarf von 700 Terawattstunden, dieser ist also insgesamt größer als die gesamte Stromproduktion.“

Ob wirklich soviel Strom gebraucht wird hängt auch davon ab, welche Art der Motoren verwendet werden. Denn die Effizienz der verschiedenen Antriebssysteme ist sehr unterschiedlich. E-Fuels entsprechen im Prinzip den heutigen Kraftstoffen, werden aber nicht aus Erdöl, sondern aus grünem Wasserstoff hergestellt. Damit könnten vorhandene Motoren CO2-neutral werden.

Strom oder E-Fuels?

Wenn es darum geht, die Energie auf die Straße zu bringen, macht es einen Unterschied, ob die Fahrzeuge mit Strom oder mit E-Fuels fahren: „Ein batteriegetriebenes Fahrzeug wandelt annähernd die komplette elektrische Energie in Bewegungsenergie um. Ein Verbrennungsmotor, der mit E-Fuel befeuert wird, produziert überwiegend Wärme und nur zu ¼ Bewegungsenergie“, erläutert Rupp.

Bei einer kompletten Umstellung des heutigen Straßenverkehrs auf E-Fuels würden dann mit 700 TWh deutlich mehr Primärenergie in Form von Strom benötigt, als heute durch das Netz fließt. Bei einer direkten Nutzung von Strom kämen die Fahrzeuge hingegen mit rund 250 TWh Strom aus, hat Rupp errechnet. Gemessen an dem gegenwärtigen Strombedarf wären das etwa 50% mehr. Bei einem nächtlichen Ladevorgang wäre der Stromtransport auch mit der vorhanden Netzinfrastruktur zu schaffen.

Bisher ist unklar, wie die entsprechenden grünen Strommengen erzeugt werden können. Beim weiteren Ausbau von Solar- und Windanlagen zeichnet sich ab, dass die Flächen knapp werden. Aber auch bei den E-Fuels ist noch nicht absehbar, wie diese in großem Stil produziert werden. Grüner Wasserstoff oder daraus gewonnene synthetische Kraftstoffe existieren bisher in Konzepten und Modellversuchen, aber nicht als Wirtschaftszweig.

Verkehrswende: Mobilität mit anderen Mitteln

Die Betrachtung der Antriebsenergie ist allerdings nur ein Weg, um CO2 im Verkehrssektor zu vermeiden. Ein alternativer Ansatz einer Verkehrswende konzentriert sich auf eine Mobilitätswende im Sinne von Verhaltensänderungen. Im Teilprojekt Ariadne wird untersucht, ob die Bevölkerung bereit wäre, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Personennahverkehr anstelle vom Auto zu fahren und wie der richtige Rahmen dafür aussehen könnte.

Die Wissenschaftler befragen dazu jährlich 6.800 Menschen in Deutschland, um Anliegen und Bewertungen der Bürger zur Strom- und Verkehrswende einzufangen. Fast 80 Prozent der Teilnehmenden sehen die Transformation als Gemeinschaftsaufgabe, bei der jeder Mensch einen Beitrag zum Gelingen leisten sollte. Mehr als die Hälfte der Menschen beschreibt die Umsetzung der Energiewende jedoch als teuer oder bürgerfern und wünscht sich mehr Tempo.

Bildquelle: Ariadne

Außerdem diskutierten rund 90 zufällig ausgewählte Bürger bei digitalen Treffen, was ihnen bei einer Verkehrswende wichtig ist. Ein Ergebnis: Die Bürger empfinden die Notwendigkeit einer Verkehrswende. Ihre eigene Möglichkeiten daran teilzunehmen, erleben sie aber als sehr begrenzt, vor allem wegen der bestehenden Infrastruktur. Dazu gehört sowohl die Situation von Straßen und Radwegen vor Ort als auch die persönliche Situation im Sinne eines „Ich würde ja anders wollen, wenn ich nur könnte“.

Wenn die Infrastruktur da ist – wird sie genutzt

Die Infrastruktur ist damit ein wichtiger Ansatzpunkt, um den Straßenverkehr zu gestalten: „Wenn wir Straßen bauen, fahren die Menschen mehr Auto. Doch wenn wir Radwege bauen, dann fahren sie auch mehr Fahrrad. Das Gefühl der Leute, dass die Infrastruktur ihr Handeln beeinflusst, ist durch Daten belegbar. Zudem ist es belegbar, dass Menschen schnell bereit sind, ihr Transportmittel zu wechseln,“ erläutert Arwen Colell, Politik-Analystin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC Berlin), die Ergebnisse des Kopernikus-Projekts Ariadne.

Andererseits zeigt sich in den Befragungen auch ein klarer Wunsch nach einer Verkehrswende ohne Verhaltensänderung. Florian Koller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und ebenfalls für das Kopernikus-Projekt tätig, verweist auf die Trägheit des Verhaltens: „Das Mobilitätsverhalten ist sehr routiniert. Selbst wenn die Einstellung stimmt und das Umweltbewusstsein da ist, bedeutet das nicht, dass die Menschen ohne geänderte Rahmenbedingungen auch ihr Verhalten ändern. “

Insofern steht Koller einer Mobilitätswende eher skeptisch gegenüber: „Wir sehen in den in Ariadne genutzten Modellen, dass die direkte Elektrifizierung im Verkehrssektor für den Zeitraum bis 2030 das größte Potenzial für CO2-Einsparung hat. Danach ergeben sich Potenziale auch für die indirekte Elektrifizierung, z.B. durch Wasserstoff.“

Deutlich wurde in den Untersuchungen auch, dass das Auto des Deutschen liebstes Kind ist. Es steht für Freiheit und Mobilität. Aber auch das Gegenteil ist richtig: Nach einer aktuellen Umfrage erleben viel Befragte gerade den Verzicht auf das Auto als ein Gewinn von Freiheit. Auch darin könnte eine Chance für eine Mobilitätswende liegen.

Unabhängig von mehr Klimaschutz haben die Bürger Hoffnungen, dass eine Verkehrswende ihre Lebensqualität verbessert. Die Erwartungen richten sich auf weniger Lärm, bessere Luft und kürzere Wege durch kompaktere Siedlungsstrukturen. Zudem wünschen sich viele Bürger einen besseren öffentlichen Nahverkehr, eine Fahrradinfrastruktur sowie die Möglichkeit zum Carsharing.

Die Ergebnisse des „Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers 2021“ sind auf ariadneprojekt.de online verfügbar.

 

Global gedacht: Produktion von grünem Wasserstoff in großem Stil möglich

Günstige Standorte für die Produktion von grünem Wasserstoff

 Wasserstoff muss keine Luftnummer werden. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) haben ermittelt, dass es mit der Perspektive 2050 weltweit ausreichend günstige Standorte für die Produktion von grünem Wasserstoff gibt. Ein Online-Tool bietet konkrete Informationen zu Produktionsbedingungen und Kosten für alle Länder im Vergleich.

Grüner Wasserstoff gilt als Lösung für viele offene Fragen der Energiewende. Allerdings bringt er selbst die grundlegende Frage mit sich, ob es überhaupt realistisch ist, entsprechende Mengen zu erzeugen. Hintergrund des Zweifels an einer Verfügbarkeit in großen Mengen, ist der hohe Energiebedarf eines Elektrolyseurs. Wird dieser mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben, bedeutet dies, dass zunächst große Mengen von Sonnen- und Windstrom erzeugt werden müssen.

Ein Gruppe von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE hat weltweit 600 Standorte für Power-to-X (PtX) analysiert und kommt zu einer optimistischen Einschätzung. Die Analyse hat ergeben, das außerhalb Europas langfristig etwa 109.000 Terrawattstunden flüssiger grüner Wasserstoff produziert werden kann.

Energieeffizienz, Elektrifizierung mit grünem Wasserstoff kombinieren

Grundsätzlich gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Strom auch künftig prioritär direkt genutzt werden sollte. Für Anwendungen, in denen das nicht möglich ist, kann Wasserstoff fossile Energieträger ersetzen.

Rechnet man die zur Verfügung stehenden Mengen nach dem heutigen Anteil an der Weltbevölkerung auf Deutschland herunter, stehen 770 Terawattstunden Wasserstoff zur Verfügung. »Das genügt, um den verbleibenden Brenn- und Kraftstoffbedarf zu decken – vorausgesetzt, Energieeffizienz und direkte Stromnutzung haben jederzeit absoluten Vorrang«, erläutert Norman Gerhardt, Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse, Fraunhofer IEE.

Unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien wie ausreichender Wasserverfügbarkeit und dem soziökonomischen Rahmen kommen viele Standorte für eine Wasserstofferzeugung in Betracht. Besonders günstige Standorte gibt es in den USA, Australien, Argentinien und Russland. Chile und Kanada weisen ebenfalls ein gutes Potenzial auf.

Auch näher an Europa gelegene Staaten wie Ägypten oder Libyen wären prinzipiell in der Lage, große PtX-Volumina zu liefern – und auch grünen gasförmigen Wasserstoff, da die Transportstrecken vergleichsweise kurz sind. In diesen Ländern seien die sozioökonomischen Bedingungen jedoch schlechter, so dass die Investitionsrisiken und damit die Finanzierungskosten höher wären.

Nachhaltigkeit für PtX-Standorte berücksichtigt

Untersucht wurde das Potenzial für Photovoltaik- und Onshore-Windanlagen in Kombination mit Elektrolyseuren und Transportmöglichkeiten für flüssigen Wasserstoff per Schiff. Ausgeschlossen wurden dabei Orte, an denen es zu Konflikten mit dem Naturschutz oder der Nahrungsmittelproduktion kommen könnte.

Der PtX-Atlas ist als interaktives online-Tool erschienen und steht kostenlos auf der Website des Projektes zur Verfügung. Die Arbeiten sind im Rahmen des Forschungsprojektes DeV-KopSys erfolgt, das durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert wurde. Der Überblick soll als Orientierung dienen, welche Regionen sich längerfristig zu Energieschwerpunkten entwickeln und über eine Energiepartnerschaft gefördert werden könnten.

Der PtX-Atlas ist ab dem 1. Juni 2021 online: https://devkopsys.de/ptx-atlas/

Bildnachweis: Fraunhofer IEE

 

Wie sieht eine klimaneutrale Wirtschaft aus? Forschungsprojekte zeigen erste Antworten

An staatlichem Geld fehlt es nicht, um die Corona-Krise zu überwinden und die Wirtschaft neu auszurichten. Gesucht sind Zukunftstechnologien, die kurzfristig nutzbar sind. Im Rahmen der zehnjährigen Forschungsinitiative „Kopernikus“ werden technisch erprobte Technologien für die Energiewende zur Marktfähigkeit weiterentwickelt. Nach vier Jahren Forschungszeit gibt es nun Zwischenergebnisse in den Teilprojekten „ENSURE“, „P2X“ und „SynErgie“.

Seit 2016 erforschen die vom Bundesforschungsministerium geförderten Kopernikus-Projekte, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 seine CO2-Emissionen massiv reduzieren kann. Der Fokus liegt auf einer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Kombination mit Wasserstoff sowie einem Umbau von Industrieprozessen und Stromnetzen.

Verbrennungsprozesse und chemisch Wertschöpfung basiert heute auf fossilen Ressourcen. (Bildquelle Kopernikus-Projekte)

Quelle: Kopernikus-Projekte

 

Derzeit ist Erdöl der zentrale Energieträger für Verbrennungsprozesse und gleichzeitig grundlegender Rohstoff für viele Produkte der Chemieindustrie. Wird diese Basis durch CO2-freie Quellen ersetzt, hat das Konsequenzen für die gesamte Wertschöpfungskette. Strom ist verfügbar, wenn Solar- und Windanlagen liefern. Industrieelle Prozesse müssen diese Fluktuation berücksichtigen oder mit dem Zwischenprodukt Wasserstoff planen. Denn durch die Umwandlung der erneuerbaren Energie in Wasserstoff, wird diese speicherbar, in großen Mengen transportierbar und auch als Grundstoff für Chemieprodukte verwendbar.

Vom Versuch zur Anwendung

Ziel der Kopernikus-Forschungsprojekte ist, Zukunftstechnologien aus dem Versuchsstadium zur Anwendungsreife zu bringen. Das Chemieunternehmen Covestro aus Leverkusen ist einer der beteiligten Partner aus der Industrie.

„Covestro hat perspektivisch vor, seine Produktionsanlagen weltweit auf die Nutzung von alternativen Rohstoffen und erneuerbaren Energien umzustellen. Dabei ist es wichtig, nachhaltige Technologien in die bisherigen Prozesse einzubringen. Im Rahmen der Kopernikus-Projekte forschen wir an der Nutzung von CO2 unter Einsatz von regenerativer Energie. Ein innovatives Produkt sind Polymethylen-Polymere, bei denen CO2 einer der Bestandteile ist,“ berichtet Klaus Schäfer, Mitglied des Vorstands bei Covestro.

Ein Beispiel für die Verwendung von Wasserstoff als Heizgas ist die Glasindustrie: „Wasserstoff bedeutet für die Glasindustrie nicht nur eine Reduktion von CO2-Emissionen, sondern bringt auch mehr Energieflexibilität:

“So ein Sprung in der Energieflexibilität wäre mit den bisherigen Technologien nicht mehr möglich, da die Verfahren bereits stark optimiert sind,“ erläutert Alexander Sauer, Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA.

Auch die Elektrolyse ist ein Teil der Forschung: CO-Elektrolyse bezeichnet einen Prozess, bei dem CO2 zugeführt wird. Auf diese Weise entsteht eine Mischung von Wasserstoff und Kohlenmonoxid (CO) – sogenanntes Synthesegas.

„Synthesegas kann chemisch und auch biochemisch umgewandelt werden und zum Beispiel für die Produktion von längerkettigen Alkoholen für die Herstellung von Kosmetikprodukten genutzt werden. Das Verhältnis von Wasserstoff zu Kohlenmonoxid ist dabei ganz entscheidend für die Anwendung“, erläutert Walter Leitner, Professor an der RWTH Aachen sowie Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion.

Zur Realisierung der Wertschöpfungskette von CO2, Wasser und erneuerbarer Energie kooperieren die Unternehmen Siemens, Evonik und Beiersdorf.

Ob Synthesegas oder Wasserstoff - beide Produkte ermöglichen erneuerbaren Strom auch in anderen Sektoren zu nutzen. (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

Aus Sonnen und Windenergie lässt sich über die Elektrolyse Wasserstoff produzieren. Der Energieträger ist gleichzeitig die Basis für Chemieprodukte. (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

 

Flexibilität beim Strombedarf in der Industrie

In der Modellregion Augsburg erforscht das Teilprojekt SynErgie branchenübergreifend, wie sich energieintensive Produktionsprozesse an eine schwankende Stromversorgung anpassen können. Die Forschungsarbeiten haben sich auf ein Drittel des Strombedarfs im verarbeitenden Gewerbe Deutschlands konzentriert, was etwa 80 TWh pro Jahr entspricht. Als Potenzial für Flexibilität für den Zeitraum einer Minute wurden rund 4 GW Kapazität bei Lastverzicht und 2,7 GW bei einer Lasterhöhung ermittelt. Für eine Flexibilität von 15 Minuten ergaben sich 2,5 GW bei Lastverzicht und 1,1 GW bei Lasterhöhung.

Unterschiedliche Produktionsprozesse - ein Ziel: Flexibel auf die Einspeisung von Sonnen- und Windstrom reagieren. (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

In unterschiedlichen Branchen wird danach geforscht, ob sich Produktionsprozesse an das Energieangebot anpassen lassen (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

Durch den erheblichen Anteil der Industrie am gesamten Stromverbrauch in Deutschland entsteht eine große Hebelwirkung:

„Das sind durchaus relevante Größenordnungen. Die jährlich verschiebbare Energiemenge könnte etwa zwei Drittel der realisierten Erzeugung aus allen deutschen Pumpspeicherkraftwerken abdecken. Unser Ziel ist ein vernetzter automatisierter Prozess von der Windanlage bis zum fertigen Produkt,” resümiert Sauer.

Der flexible Betrieb von industriellen Prozessen setzt eine entsprechende Informations- und Kommunikationstechnik voraus.

„Kein Produzent wird sich manuell mit der Flexibilisierung des Stromverbrauchs beschäftigen können. Energieflexibilität muss für den Betreiber unsichtbar sein. Bei Neuinvestitionen ist es wichtig, dieses Thema in die Anlage zu integrieren“, betont Sauer.

Ein Beispiel für einen energieflexiblen Betrieb ist die flexible Aluminiumelektrolyse beim Unternehmen TRIMET mit einem Flexibilisierungspotenzial von 22 MW. Eine andere Anwendung findet sich beim Unternehmen Linde:

„Bei Linde erproben wir eine flexible Luftzerlegung FlexASU mit rund 930 MW installierter Leistung in ganz Deutschland“, berichtet Sauer.

Dabei werde die Anlage so betrieben, dass sie möglichst zu Stromspitzen mit niedrigen Preisen produziert, andererseits aber auch runterfährt, wenn Energie im Stromnetz benötigt wird. Wie sich dieser wechselnde Anlagenbetrieb auf die Komponenten und Bauteile der Anlage auswirkt, ist Bestandteil weiterer Untersuchungen.

Andere Anforderungen an das Stromnetz

Das verbindende Element zwischen Erzeugung und Verbrauch ist das Stromnetz. Auch hier ist eine Anpassung an die neuen Vorgaben erforderlich. Das Kopernikus-Projekt ENSURE untersucht dazu die nötigen Energienetzstrukturen. Dabei werden verschiedene Szenarien zur Reduktion von CO2-Emissionen miteinander verglichen. In allen Varianten ist ein deutlicher Ausbau von Photovoltaik und Windkraft an Land nötig.

Stakeholder haben die Szenarien aus ihrer Sicht bewertet:

„Als gemeinsamer Nenner für eine erfolgreiche Energiewende ergab sich der Wunsch nach einer Beteiligung der Bürger an Infrastrukturprojekten sowie nach einer Reduzierung der Auswirkungen auf das Landschaftsbild“, berichtet Jochen Kreusel, Market Innovation Manager bei Hitachi ABB Power Grids und Professor an der RWTH Aachen.

Im Stromnetz werden künftig viele Prozesse autonomer ablaufen müssen. Das wird ebenfalls im Projekt ENSURE untersucht.

„Bisher funktioniert vorwiegend der Schutz des Netzes automatisiert. Um aber gestützte Entscheidungen durch Maschinen zu ermöglichen, sind neue Technologien und Betriebsmittel nötig“, so Kreusel.

Zudem gebe es mehr Gleichstromanwendungen wie Photovoltaik, Batteriespeicher und Elektromobilität. Die neuen Anwendungen kommen zusätzlich dazu und ergänzten die bisherigen Technologien.

Von einer vollständigen Autonomie sind heutige technische System noch weit entfernt. (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

Autonomie von Maschinen ist ein mehrstufiger Prozesse. Üblich ist bisher die Übertragung von Teilaufgaben, der Mensch bleibt verantwortlich. (Bildquelle: Kopernikus-Projekte)

 

Numbering-up anstatt Skaling-up

Auf dem Weg vom erfolgreichen Modellversuch bis zur breiten Anwendung kommt es darauf an, wie die neuen Prozesse ausgerollt werden:

„Ein wichtiger Aspekt einer breiten Anwendbarkeit ist ein Numbering-up im Unterschied zu einem Skaling-up: Anlagen, die dezentral arbeiten und kleine Mengen an vielen Standorten produzieren, ermöglichen an bestimmten Standorten eine bessere Abstimmung mit erneuerbaren Energien als die bisherigen petrochemische Anwendungsketten“, so Leitner.

Ein Beispiel ist ein Modul, das die CO2-Gewinnung, die CO-Elektrolyse und die Anwendung eines Fischer-Tropsch-Prozess verbindet und E-Fuel produziert. E-Fuel kann in den gängigen Verbrennungsmotoren als Ersatz für Diesel, Benzin oder Kerosin verwendet werden. Das Besondere an der modularen Produktionsweise ist, dass die gesamte Wertschöpfungskette in einer Prozesseinheit abgebildet wird. Das Modul in Form eines Containers wurde von dem Unternehmen INERATEC gemeinsam mit Forschern am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelt. Komponenten kommen von Climeworks und sunfire.

Kreislaufwirtschaft als Ziel

Eng mit dem Klimaschutz ist die Frage nach einer Kreislaufwirtschaft verbunden. Covestro will daher seine Produktion auf die Verwendung alternativer Rohstoffe umstellen:

„Wir wollen den Wandel zur Kreislaufwirtschaft beschleunigen. Neben alternativen Rohstoffen wie Altmaterialien, CO2 und Biomasse ist erneuerbare Energie nötig, um zu einer wirklich ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft zu gelangen,“ erläutert Schäfer.

Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bedingten sich dabei gegenseitig. Entscheidend für eine kommerzielle Nutzung seien allerdings geeignete Rahmenbedingungen.

Kommerzielle Nutzung braucht andere Rahmenbedingungen

Die Verfügbarkeit von günstiger Energie ist ein Schlüsselfaktor für den Einsatz von Wasserstoff. Ein Zwischenergebnis des Projektes SynErgie wie auch des Projektes P2X lautet, dass unter zu den aktuellen Marktbedingungen, die technischen Möglichkeiten nicht genutzt werden.

„Zentrale Voraussetzung für eine Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft ist eine Reduzierung der Stromkosten. Steuern, Abgaben, Umlagen – kurz STAU – verhindern den Einsatz der Technologie,“ betont Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut.

„Das bisherige Marktsystem unterstützt die Bereitstellung von Flexibilität nicht optimal“, resümiert auch Sauer. Die Initiative fordert daher die Abschaffung von Regulierungshemmnissen für die Flexibilität sowie die Möglichkeit, Flexibilität unabhängig von der Größe, Energieintensität und negativen Effekten auf die Netzentgelte bereitstellen zu können. Zudem müssten Anreize gesetzt werden, um den Stromverbrauch zu passenden Zeitpunkten zu erhöhen oder zu reduzieren.

Klimaneutralität geht nur mit Wasserstoff

Die Vielzahl der untersuchten Aspekte zeigt, wie komplex und anspruchsvoll das ehrgeizige Ziel einer vollständigen CO2-Neutralität ist. Zumal die Klimaziele seit Beginn der Forschung verschärft wurden. Zunächst sah die Klimapolitik bis 2050 eine CO2-Reduktion von 80 Prozent vor.

„Inzwischen wurde das Ziel einer Klimaneutralität bis 2050 verabschiedet. Die nötigen Maßnahmen gehen über die leicht zu erreichenden Low Hanging Fruits hinaus. Das bedeutet, dass jede Möglichkeit der CO2-Reduktion benötigt wird und die Emissionen bereits bis 2030 deutlich sinken müssen. Damit brauchen wir auch sehr bald ein wasserstoffbasiertes Element in der Volkswirtschaft,“ erläutert Matthes.

Deutschland bleibt von Energieimporten abhängig

Die innovative Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft und der massive Ausbau von erneuerbaren Energien wird allerdings wenig daran ändern können, dass Deutschland ein energiearmes Land ist. Denn die Bedingungen für die Produktion von Strom aus Solar- und Wind sind in anderen Teilen der Welt deutlich günstiger. Allerdings verändert Wasserstoff die Importmöglichkeiten von erneuerbaren Energien. Wasserstoff lässt sich im Gegensatz zu Strom über weite Strecken importieren. Dazu kann ein Pipelinesystem oder bei verflüssigter Form der Seeweg genutzt werden.

 

 

Über die Kopernikus-Projekte

In den Kopernikus-Projekten arbeiten mehr als 240 Partner aus Wissenschaft, Industrie und Zivilgesellschaft zusammen. Teilbereiche sind:

Das Projekt ENSURE entwickelt das Stromnetz der Zukunft: https://www.kopernikus-projekte.de/projekte/ensure

Das Projekt P2X erforscht die Umwandlung von CO2, Wasser und erneuerbarem Strom in Gase, Kraftstoffe, Chemikalien und Kunststoffe: https://www.kopernikus-projekte.de/projekte/p2x

Das Projekt SynErgie untersucht, wie energieintensive Industrieprozesse flexibilisiert und so an die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien angepasst werden können: https://www.kopernikus-projekte.de/synergie

 

 

Viele Wege, ein Ziel: Weniger CO2-Emissionen

20181210_Fact Sheet EU2050 vision

Szenarien der Europäischen Kommission zur CO2-Reduktion

Wie lässt sich der Klimaschutz voranbringen? Kaum ein Thema wird derzeit gesellschaftlich so breit diskutiert. Dabei ist die Notwendigkeit, CO2-Emissionen maßgeblich zu reduzieren, allgemein anerkannt. Die zuständigen Institutionen auf europäischer und deutscher Ebene haben unterschiedliche Vorstellungen zu den Wegen und Zielen. Dem Umweltbundesamt (UBA) gehen die Vorschläge der EU-Kommission nicht weit genug. 

Die EU-Kommission hat mit ihrer Mitteilung vom 28.11.2018 ein Strategiepapier mit acht Szenerien bis 2050 vorgelegt. Das Umweltbundesamt hatte bereits 2018 dazu Stellung bezogen und nun den Kommissionsvorschlag analysiert. Auf nationaler Ebene sollen bis zum Jahresende die Strategien für Umsetzung des Abkommens von Paris erarbeitet sein.

Nach dem Sonderbericht des IPCC steigen die Risiken für Mensch und Natur bei einer globalen Erwärmung von 1,5° auf 2° Celsius drastisch an. Bisher ist die globale Durchschnittstemperatur bereits um etwa 1° Celsius gestiegen. Daher ist es für das UBA prioritär, die Anstrengungen noch vor 2030 deutlich zu erhöhen, um bis dahin eine Trendwende einzuleiten. Dabei sollte die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5° Celsius mit sozial, wirtschafts- und umweltverträglichen Maßnahmen in Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen erfolgen.

Acht Szenarien zur CO2-Reduktion

Die Europäische Kommission hat in ihrer Kommunikation vom November 2018 acht Szenarien beschrieben, wie bis 2050 die CO2–Emissionen verringert werden können. Zwei Szenarien gehen von Null-Emissionen aus, die übrigen sechs Szenarien sehen eine Minderung von 80 bis 90 Prozent vor. Konkret betrachtet werden dabei der Weg einer Elektrifizierung, einer Wasserstoffwirtschaft, die Nutzung von Power-to-X, eine Steigerung der Energieeffizienz und eine Kreislaufwirtschaft. Das sechste Szenario sieht die Kombination dieser Maßnahmen vor und die Varianten sieben und acht betrachten zusätzlich den Einsatz von CCS und eine grundlegende Änderung des Lebensstils.

Umweltverträglichkeit wird unterschiedlich verstanden

Nicht alle, der in den Szenarien untersuchten Maßnahmen entsprechen dabei den Grundsätzen des UBA für Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit. So geht die Europäische Kommission zwar in allen Szenarien von einem Anteil von 81 bis 85% erneuerbare Energien an der Stromerzeugung aus, sieht aber auch einen Anteil von 12 bis 15 Prozent Kernenergie und etwa 20 GW Kapazität an Kohlekraftwerken. „Zentral für einen wirksamen Klimaschutz ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung, wie ihn die sogenannte Kohlekommission vorgeschlagen hat . Auch Kernenergie ist kein Weg, um umweltbewusst das CO2-Ziel zu erreichen, “ erläutert Michael Angrick, Vizepräsident des UBA. Ebenfalls problematisch sei ein weiterer Ausbau von Biomasse aufgrund fehlender Flächen.

Auch über das Minderungsziel bis 2050 gehen die Meinungen auseinander. In einigen Szenarien der Europäischen Kommission wird eine Reduktion von 80 bis 90 Prozent angestrebt. Nach Einschätzung des UBA wir dies nicht ausreichen, um den Klimawandel aufzuhalten. „Wir brauchen ein Net-Zero-Ziel für 2050, um eine Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken“, ist Angrick überzeugt. „Net-Zero bedeutet, dass zunächst alle vermeidbaren Emissionen reduziert werden. Für unvermeidbare Emissionen müssen Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden.

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CO2-Reduktion durch Sektorenkopplung in Berlin

Version 2Am Beispiel der größten deutschen Stadt wird deutlich, was die Klimaziele im Detail bedeuten. Hier gibt es in jedem Sektor andere Antworten auf die Frage der CO2-Reduktion. Im Interview für Septemberausgabe der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft erläutert Dr. Gerhard Holtmeier, Vorstandsvorsitzender der GASAG, wie ganzheitliche Lösungen mit Strom, Gas und Wärme aussehen. 

Der Gasversorger in Berlin realisiert die Themen Energiewende und CO2-Reduktion in unterschiedlichen Projekten. Mit dem Neubaugebiet Maximilians Quartier, der energetischen Optimierung der Mierendorff-Insel, dem Energiekonzept für die Mercedes-Benz Arena und der Power-to-heat/Power-to-cool-Anlage auf dem EUREF-Campus einige Vorzeigeprojekte für ein neues Verständnis von CO2-Einsparungen im Gebäudebereich entwickelt, erläutert Holtmeier.  Weiterlesen