Energieversorgung 2022: Energieträger und Importe verändert

Vor gut einem Jahr haben die politischen Ereignisse die Standards der Energieversorgung durcheinander gewirbelt. Auf fehlende Gaslieferungen aus Russland hat Deutschland mit Importen aus anderen Ländern und Einsparungen reagiert. Strom wurde vermehrt aus Kohle und erneuerbaren Energien produziert. Ein Überblicksartikel dazu ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 2/2023 erschienen. 

Seit September 2022 fließt nach Angaben des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)  kein russisches Gas mehr nach Deutschland. Die fehlenden Mengen wurden teilweise durch stärkere Importe aus den Niederlanden sowie über Leitungen aus Belgien und Frankreich ausgeglichen.

Seit September 2022 fließt kein Gas mehr aus Russland. Die Importe aus anderen Lieferländern sind leicht gestiegen. Quelle: BDEW

 

 

 

Hohe Erdgaspreise machen Gasverstromung unwirtschaftlich

Bereits Mitte 2021 war ein Trend steigender Erdgaspreise zu beobachten. Dieser verstärkte sich mit dem Krieg in der Ukraine deutlich. Insbesondere sorgten hohe Spotmarkt-Preise dafür, dass Gaskraftwerke aus dem Markt gedrängt wurden. Dadurch hat sich der Energiemix im Vergleich zum Vorjahr verändert: Die Stromerzeugung der Gaskraftwerke ging 2022 nach BDEW-Angaben um knapp 14 % zurück.

2022 wurden mehr erneuerbare Energien und Kohle für die Stromproduktion eingesetzt. Quelle: BDEW

Hinzu kam die Abschaltung von drei Kernkraftwerken zum Jahresende 2021. Diese Lücke wurde zu einem kleinen Teil durch erneuerbare Energien aufgefangen. Diese trugen 2022 insgesamt rund 45 Prozent zur Stromerzeugung bei. Der Anteil der Braun- und Steinkohlekraftwerke an der Stromerzeugung in Deutschland stieg auf rund 32 %.

CO2-Emissionen gestiegen

Für die Kohlendioxidemissionen der Energiebranche bedeutet dieser Erzeugungsmix ein Plus von 5 %. Mit 260 Millionen Tonnen wurden im Jahr 2022 drei Millionen Tonnen mehr CO2 emittiert als die Zielvorgabe vorsieht. Das entspricht einer Minderung von nur 44 % im Vergleich zu 1990. Nach dem Klimaschutzgesetz ist eine Reduktion um 45 % vorgeschrieben.

Energiewirtschaft verfehlt ihr CO2-Sektorziel

2022 sind die CO2-Emissionen der Energieerzeugung leicht gestiegen. Quelle: BDEW

Insgesamt ist der BDEW zuversichtlich, dass der Klimaschutz mittelfristig vorankommt: Trotz der Umwälzungen habe die Energiewirtschaft ihr Sektorziel nur knapp verfehlt. Dennoch: Diese Entwicklung sei für das Klima natürlich ein Rückschritt und die Branche müsse alles tun, um so schnell wie möglich wieder in die Spur zu kommen.  Dazu gehöre mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, beim Aus- und Umbau der Netze und bei der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes, betonte Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW.

Für den kommenden Winter 2023/2024 zeigte sich Andreae optimistisch in Bezug auf die Versorgungslage und die Importterminals für Flüssiggas – Liquefied Natural Gas (LNG): „Die gute Nachricht: Deutschland kann Schnelligkeit. Das zeigt das Beispiel der LNG-Terminals.“ Deutschland habe es 2022 geschafft, sich an eine Situation anzupassen, die niemand erwartet habe. Die Notwendigkeit, sparsam mit Energie und den höheren Preisen umzugehen, bleibe aber auch in den kommenden Jahren bestehen. Ab dem Frühjahr 2023 müsse damit begonnen werden, die Gasspeicher mit Flüssiggas zu füllen.

Perspektive: Ausbau erneuerbarer Energien, Energiesparen und LNG-Importe

Mit einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, einem Rückgang der Gasverstromung, Effizienzmaßnahmen und einem sparsamen Umgang könne mittelfristig die Nachfrage sinken. Zudem gelte es, den Bau der weiterer LNG-Terminals voranzutreiben, neue Wasserstoff-Allianzen zu etablieren und möglichst viel Energie einzusparen, resümiert Andreae.

Bis Wasserstoff zum grundlegenden Energieträger wird, wird es noch eine Weile dauern. Kurzfristig muss die Gasbranche vor allem ihre Bezugsquellen weiter diversifizieren. Neben Investitionen in erneuerbare Energien, Wasserstoff, wasserstofffähige Gaskraftwerke und Energienetze ist es nach Einschätzung des BDEW wichtig, ein Marktdesign zu entwickeln, indem sich Investitionen in steuerbare Kapazitäten zur Stromerzeugung lohnen. Für diese müssten ökonomische Anreize geschaffen und die Genehmigungsprozesse vereinfacht werden.

Der gesamte Beitrag ist in EW – Magazin für die Energiewirtschaft 2/2023 erschienen.

Grafiken: BDEW

Ausbau erneuerbarer Energien: Konflikte müssen nicht im Streit enden

Streit kostet Geld und bremst die Dynamik. Um Konflikte beim Umbau der Energieversorgung zu vermeiden, wurde vor 15 Jahren die EEG/KWKG-Clearingstelle in Berlin gegründet. Diese bringt die Parteien zusammen und sucht pragmatische Lösungen.  Der gesamte Beitrag zu alternativen Wegen der Konfliktlösung ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 1/2023 erschienen.

Der Ausbau von Photovoltaik- und Windanlagen wird mit dem  „Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Dieses grundlegende Gesetzt hatte einmal als Strom-Einspeisungsgesetz mit einem Umfang von fünf übersichtlichen Paragrafen begonnen. Inzwischen zählt das Gesetzeswerk mehr als 800 Paragrafen.

Dass viele Fragen bei der Auslegung des EEG aufkommen können, hatte der Gesetzgeber schon vor 15 Jahren antizipiert: Die Clearingstelle geht auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages zurück und begründet sich formal auf die § 81 EEG, § 32a Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG). Sie arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, um Streitigkeiten bei der Auslegung des EEG, KWKG und des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) zu vermeiden.

Martin Winkler und Söhne Dibbern beim 44. Fachgespräch der Clearingstelle EEG | KWKG 2022. Bild: Clearingstelle

Insbesondere kleinere Anlagenbetreiber benötigen dazu oft eine rechtliche Beratung. Betreiber von Erzeugungsanlagen, Netzen und Messstellen wenden sich dann an die Clearingstelle EEG/KWKG. „Teilweise fehlt es im Gesetz auch noch an Regelungen, die die Realität der sich ändernden Energiewirtschaft abbilden,“ berichtet Sönke Dibbern, Kaufmännischer Leiter der Clearingstelle EEG/KWKG.

Rechtslage nicht immer eindeutig

Im Unterschied zu einem Richterspruch, geht es der Clearingstelle darum, die Rechtssicherheit insgesamt für alle Beteiligten zu verbessern. „Die komplexen Gesetze können nicht jeden Einzelfall im Transformationsprozess regeln. Mit der Clearingstelle hat der Gesetzgeber ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen, das informiert, Stakeholder zusammenbringt und gerichtliche Verfahren vermeidet“, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Clearingstelle Martin Winkler.

Ulla Gläßer. Bild: Hoffotografen Berlin

Die Energietransformation ist eine anspruchsvolle Aufgabe für die Gesellschaft. „Konflikte zwischen Naturschutz und dem Ausbau erneuerbarer Energien sind ein komplexes Feld, bei dem Bürgerinitiativen, Gemeinden, Anlagenbetreiber gleichermaßen betroffen sind. Derartiges Konfliktpotenzial muss möglichst frühzeitig in Planungsverfahren aufgegriffen und unter Berücksichtigung aller Perspektiven bearbeitet werden. Gerichtsverfahren sind dazu wenig geeignet – zumal sie meistens viel zu spät im Planungsverlauf ansetzen können. Hier sind andere Verfahrensarten gefragt, die eine frühe, verständnis- und interessenorientierte Kommunikation mit allen Beteiligten ermöglichen,“ so Ulla Gläßer, Professorin für Mediation und Konfliktmanagement, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).

Unterschiedliche Interessen und Standpunkte gehören zum politischen System. „Die Gesellschaft verändert sich. Konflikte zeigen, dass sich Prozesse weiter entwickeln. Eskalierender Streit sollte vermieden werden, aber vollständige Konfliktvermeidung würde Stagnation bedeuten. Das würde die Energietransformation ausbremsen. Die Clearingstelle ist ein gutes Beispiel für ein effizientes Konfliktmanagement“, erläutert Gläßer.

Beim EEG müssen sich die Parteien selbst einigen

Thorsten Müller, Bild: Manuel Reger

Das EEG enthält zwar sehr viele Vorschriften zum Ausbau der erneuerbaren Energien, setzt aber nur den Rahmen für ein marktwirtschaftliches Fördersystem. „Das EEG hat die Besonderheit, dass nicht Behörden den Vollzug regeln, sondern sich die Parteien einigen müssen“, erläutert Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.

Für Betreiber kleiner Anlagen und Prosumer ist sind die rechtlichen Hintergründe oft unübersichtlich: „Der Aufwand eines Gerichtsverfahrens scheint in keinem guten Verhältnis zum Streitwert oder einem möglichen Nutzen zu stehen. Das kann dazu führen, dass die privaten Akteure aus einer sogenannten ‚rationalen Apathie‘ darauf verzichten, ihre Rechte einzufordern. Ein ähnliches Phänomen kann man auch bei Verbraucherstreitigkeiten beobachten. Hier bietet die Clearingstelle niedrigschwellig und unaufwändig Zugang zu Konfliktklärung. Das ist sehr hilfreich,“ resümiert Gläßer.

Erfahrungen für den weiteren Transformationsprozess

Wie viele Streitigkeiten die Clearingstelle schon vermieden hat, lässt sich nicht messen. Von 2007 bis 2021 wurden rund 14.000 Anfragen bearbeitet und in 90 Prozent der Fälle konnte das Anliegen durch die Mitarbeiter geklärt werden. Häufige Rechtsfragen betreffen die Mitteilungspflichten der Anlagenbetreiber, die Vergütung für den eingespeisten Strom, den Netzanschluss, die Messeinrichtungen und die Erweiterung einer bestehenden Anlage. Auch Gerichte erbitten regelmäßig inhaltliche Stellungnahmen zu Fragen des EEG und KWKG.

Aus der praktischen Arbeit werden Erfahrungen für die weitere Transformation des Energiesystems gesammelt. Für Winkler ist klar, dass der Prozess aus vielen kleinen Schritten besteht: „Dynamik und Transformation geht nur mit Menschen, die das täglich tun.“ Ein wichtiges Instrument sind Runde Tische, um Anliegen verschiedener Parteien zu klären.

www.clearingstelle-eeg-kwkg.de

Der gesamte Beitrag ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 1/2023 erschienen.

 

Wärmeplanung der Kommunen: Viele rechtliche Fragen sind noch unbeantwortet

Woher soll die Wärme in Zukunft kommen? Aus dem Gas-, Strom- oder Fernwärmenetz?  Mit diesen Fragen zur Wärmeplanung beschäftigen sich derzeit viele Kommunen. Denn die Klimaziele zwingen zum Umdenken und bestehende Vertragsbindungen mit der Energiewirtschaft laufen fristgemäß aus. Um den Rechtsrahmen klarer zu gestalten, hat die Stiftung Umweltenergierecht einen Vorschlag gemacht. In der Ausgabe 7-8/2022 der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft erläutern Julian Senders und Oliver Antoni die Einzelheiten.

Die Versorgung der Bevölkerung mit Wärme und Strom gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Kommunen. Einige Bundesländer haben dazu eine sogenannte Wärmeplanung gesetzlich vorgeschrieben: So muss in Baden-Württemberg jede Gemeinde eine Bestandsanalyse, Potenzialanalyse und ein klimaneutrales Szenario 2040 erarbeiten. Auch Schleswig-Holstein hat eine Wärmeplanung vorgeschrieben. In Berlin gilt nach dem Energiewendegesetz, dass der Netzbetreiber das Land bei der Erreichung seiner Ziele unterstützen soll.

Die Stiftung Umweltenergierecht hat das Instrument der Wärmeplanung im Rahmen eines Zuwendungsprojekts des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz  analysiert und kommt zu einer positiven Bewertung: „Gerade aufgrund der Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort kann ein solcher Plan sehr individuell ausfallen und kleinteilige Potenziale erschließen. Ein wichtiger Aspekt der Planung ist der Ausbau von Wärmenetzen, die auch in Konkurrenz zu bereits vorhandenen Gasnetzen stehen können,“ erläutert Projektleiter Oliver Antoni.

Oliver Antoni, Stiftung Umweltenergierecht, plädiert für eine Erweiterung des Konzessionsrechtes.  Bildquelle: Manuel Reger

 

Aus juristischer Sicht ist die Wärmeplanung bisher einen interner Plan der Behörde. „Die Maßnahmen könnten im Einzelnen den Ermessensspielraum der Behörden einschränken, wenn eine Entscheidung mit der Planung offensichtlich im Widerspruch stünde“, analysiert der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Senders.

Julian Senders, Stiftung Umweltenergierecht hat die Rechtslage bei der Planung der Wärmeversorgung untersucht.

Julian Senders, Stiftung Umweltenergierecht, hat die Rechtslage der kommunalen Wärmeplanung  untersucht.    Bildquelle: Manuel Reger

 

Konzessionsrecht mit Klimaschutz verbinden

Um die Rechtslage zur Wärmeplanung zu klären, schlägt die Stifung Umweltenergierecht eine Erweiterung des Konzessionsrechts vor. Denn gesetzlich klar geregelt ist die Beziehung der Betreiber von Energienetzen und der Gemeinde: Verlaufen Leitungen öffentlichen Grund, schreibt die Kommune Konzessionen aus. Der Betreiber, der den Zuschlag erhält, bekommt gegen Gebühr ein Wegenutzungsrecht.

Nach Einschätzung der Rechtsexperten könnte eine Änderung des Konzessionsrechts für deutlich mehr Dynamik beim Klimaschutz sorgen. Eine Bundesrechtsverordnung regelt derzeit das Nebenleistungsverbot, so dass sich die Konzession sehr eng auf den reinen Netzbetrieb beschränkt. Durch Lockerung dieses Verbots und eine Flexibilisierung bei der Handhabung der Vergabekriterien, wäre es möglich, einen klimaschutzorientierten Netzbetrieb zu fördern.

Letztlich ist das Konzessionsrecht die Grundlage, um die Bevölkerung mit Energie zu versorgen: „Die Kommunen sind nicht nur im Eigentum öffentlicher Straßen, sondern sie haben auch eine Verpflichtung zur Daseinsvorsorge. Diese Verantwortung überträgt eine Gemeinde an einen Netzbetreiber, indem sie ihm den Zuschlag für eine Konzession erteilt“, macht Antoni deutlich.

Für den Netzbetreiber schafft das Konzessionsrecht Verlässlichkeit. Der Aufbau einer Netzinfrastruktur ist eine Investition über Jahrzehnte und so wird ein Konzessionsvertrag üblicherweise über 20 Jahre abgeschlossen.

In den kommenden Jahren laufen in vielen Kommunen die  Konzessionen aus und müssen neu ausgeschrieben werden. Bei der Neuvergabe von Konzessionen hat die Gemeinde bestimmte Regeln zu beachten: Kriterien sind  Umweltverträglichkeit, zunehmende Versorgung mit erneuerbaren Energien, Preisgünstigkeit und Effizienz. Kommunalwirtschaftliche Interessen dürfen hingegen nicht berücksichtigt werden.

zwei Dekaden für die Umstellung auf erneuerbare Energien

Mit einer neuen Ausschreibung werden auch die bisherigen Konzepte der Energieversorgung hinterfragt. Denn die Klimaziele erfordern eine zügige Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien.  „In spätestens 22 Jahren soll eine fossile Energieversorgung Geschichte sein. Daraus ergibt sich, dass eine Kommune bereits bei der Neuvergabe von Konzessionen die Energieversorgung in 20 Jahren mitdenken muss“, betont Antoni.

Um CO2 insgesamt zu vermeiden, sei eine gleichzeitige Betrachtung der Gas-, Strom- und Wärmenetze sinnvoll. Bisher würden Konzessionsverträge aber für Strom-, Gas- und Fernwärmenetze getrennt  geschlossen. „Zukünftig sollten Netzbetreiber stärker integriert planen und sich mit weiteren Akteuren abstimmen,“ so Antoni.

„Im Sinne des Klimaschutzes brauchen wir einen Rechtsrahmen, der eine abgestimmte Planung zwischen den Sektoren ermöglicht und eine weitergehende Verantwortung von Netzbetreibern und Energieversorgern für den Klimaschutz zulässt“, ergänzt Senders. Um einen bundesweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, müsse der Bund die Länder per Gesetz auffordern, entsprechende Regelungen für die Kommunen zu erlassen.

 www.stiftung-umweltenergierecht.de

Studie Wärmeplanung und Gaskonzessionen

Der vollständige Überblicksartikel und das Interview mit Projektleiter Oliver Antoni ist in EW 7-8/ 2022 erschienen.

Sichere Energieversorgung: Ohne Rohstoffe und Energieträger geht es nicht

Sicherheit ist zur entscheidenden Frage der Energieversorgung geworden. Der Weltenergierat – Deutschland (WEC) hat in seiner aktuellen Publikation „Energie für Deutschland 2022“ mögliche Risiken für die Versorgungssicherheit analysiert, die sich aus den internationalen Handelsbeziehungen ergeben. Besonders kritisch sind Abhängigkeiten von einem einzigen Lieferland: Bei fossilen Energieträgern dominieren Importe aus Russland. Wichtige Rohstoffe für die Herstellung von Photovoltaik- und Windanlagen kommen vorwiegend aus China.

 Im Jahr 2021 importierte Deutschland rund 70 Prozent seiner benötigten Energie. Wichtigster Lieferant war Russland mit einem Anteil von rund 55 Prozent bei Erdgas, 50 Prozent bei Steinkohle und rund 34 Prozent bei Erdöl. „Die starken Preisanstiege für Energierohstoffe in der 2. Jahreshälfte 2021 und der Russland-Ukraine-Krieg haben das Thema Versorgungssicherheit in Deutschland und Teilen Europas stark in den öffentlichen Fokus gerückt. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich die nationale Politik besonders auf den Aspekt der Nachhaltigkeit der Energieversorgung, während die Sicherheit und Bezahlbarkeit eine untergeordnete Rolle spielten“, erläutert Carsten Rolle, WEC, die neue Situation.

Die riskante Versorgungslage  ist das Ergebnis einer Entwicklung, die in den 1970er Jahren begonnen hat. Das beobachtet der Ökonom Manuel Frondl, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Gemeinsam mit Christoph M. Schmidt, RWI, hat er einen Index entwickelt, mit dem sich Risiken und Abhängigkeiten in der Energieversorgung messen lassen.

Rohstoffspezifische Risiken bei der Versorgung Deutschlands mit Erdöl, Erdgas und Steinkohle

Quelle: WEC – Energie für Deutschland 2022

Aus den Berechnungen der Wissenschaftler wird deutlich, dass das Versorgungsrisiko bei Öl, Steinkohle und Gas insbesondere in den letzten zehn Jahren stetig gestiegen ist – trotz eines Ausbaus erneuerbarer Energien, die inzwischen 16 Prozent zum Primärenergiemix beisteuern. „Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind Deutschland und anderen europäischen Staaten auf drastische Weise die Folgen einer hohen Energieimportabhängigkeit von einem einzigen Lieferland vor Augen geführt worden“, so Frondl.

In ähnlichen Situation befindet sich nach Angaben des WEC-Berichtes Italien: Der Primärenergiebedarf wurde in den vergangenen Jahren zu rund 40 Prozent durch Erdgas gedeckt, von dem rund 40 Prozent aus Russland importiert wurde. Im Gegensatz zu Deutschland kann Italien nicht auf Braunkohle zurückgreifen und ist bereits in den 1980er aus der Kernenergie ausgestiegen.

Nicht alle Länder sind nach der Analyse des WEC gleichermaßen von Energieknappheit betroffen. Energierohstoffarmen Ländern wie Japan und Frankreich ist es durch Kernenergie gelungen, ihre Versorgungssicherheit herzustellen. Länder wie USA und Kanada können sich zusätzlich zum Ausbau erneuerbarer Energien selbst mit Erdöl, Erdgas und Kohle versorgen. Kanada exportierte 2020 rund 44 Prozent seiner im Inland geförderten Energierohstoffe. Auch die USA sind durch das sogenannte Fracking – ein aus ökologischen Gründen umstrittenes Verfahren – bei der Öl- und Gasförderung zum Nettoexporteur geworden.

Mit einem neuen gesetzlichen Rahmen soll sich in Deutschland der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich erhöhen und die Versorgungslage verbessern. Angenommen, im Jahr 2030 gebe es keine Importe mehr aus Russland, ginge das Versorgungsrisiko deutlich zurück. „Die Ergebnisse zeigen, welche große Bedeutung einer Diversifizierung bei der Versorgungssicherheit zukommt, nicht nur hinsichtlich der Importländer, sondern auch der Auswahl an Energieträgern und -technologien“, schlussfolgert Frondl.

Insofern sei es richtig, dass Deutschland mit Blick auf die Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 auf alternative Energieträger, wie Wasserstoff (H2) und H2-Derivate, setze und den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreibe. Auch mehr Energieeffizienz und schnelle Genehmigungen von Projekten zur Gewinnung heimischer Energieträger dienten der Versorgungssicherheit.

Abhängigkeit von China bei Rohstoffen für Solar- und Windanlagen

Auch wenn Solar- und Windanlagen den Strom in der Region produzieren – die Herstellung und Installation der Anlagen benötigt mineralische und metallische Rohstoffe, die importiert werden. Der WEC hat den Bedarf der Technologien und die Verfügbarkeit solcher Rohstoffe näher untersucht und dazu die wichtigsten Lieferländer aufgeführt.

Für Stahl von Windkraftanlagen werden Eisen, Nickel, Molybdän, Mangan und Chrom benötigt. Aluminium kommt im Turbinenturm und in Stromkabeln vor.  Kupfer wird in Generatoren, Starkstromkabeln, Transformatoren und der Erdungsanlage eingesetzt. Polymere werden in der Turbine verwendet. Wichtige Rohstoffe für die  Steuereinheiten sind Aluminium, Zinn, Zink, Tantal und Edelmetalle.

Bei Solaranlagen bestehen photovoltaisch aktive Komponenten aus Siliziumscheiben auf die Silberpaste aufgebracht wird oder aus amorphem Silizium, Kupfer-Indium- Gallium-Diselenid oder Kadmium-Tellurid. In den tragenden Elementen der Anlagen kommen Beton, Stahl, Kunststoffe, Glas, Aluminium und Kupfer zum Einsatz. Bei fast allen diesen Rohstoffen gehört China zu den wichtigsten Handelspartnern.

Kritikalität der für Windkraft- und PV-Anlagen benötigten Rohstoffe

Angebotskonzentration (HHI) und Länderrisiko (GLR) sowie Anteile der größten Produktionsländer im Jahr 2018

Quelle: WEC – Energie für Deutschland 2022

 

Stärkere Diversifizierung als langfristige Strategie

Die Risiken bei Rohstoffversorgung und Energieimporten lassen sich langfristig verändern. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat angekündigt, stärker auf nationale Reserven und andere Lieferländer zu setzen. Um per Schiff transportiertes verflüssigtes Erdgas zu importieren, soll eine Infrastruktur aufgebaut werden. Das BMWK erwartet, das Deutschland bei Steinkohle und Öl bereits bis Jahresende 2022 weitgehend unabhängig von russischen Einfuhren sein kann und bei Erdgas eine schrittweise Reduktion auf etwa 10 Prozent des Gasverbrauchs bis Sommer 2024 möglich ist.

Energie-Rohstofflieferanten Deutschlands 2021

Angaben in Mio. t  Steinkohleeinheiten

Quelle: WEC – Energie für Deutschland 2022

GasMangel: Kurzfristige europäische Strategien gesucht

Mit Blick auf die Situation im kommenden Winter dürften zunächst kurzfristige Maßnahmen entscheidend sein, um Bürger sowie Industrieunternehmen durch die Versorgungskrise bringen. Dabei geht es um einen Ausgleich für steigende Energiepreise und die eine angemessene Verteilung bei einer Gasmangellage. Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern für ganz Europa.

In einer deutsch-österreichischen Diskussionsrunde auf dem Medienschiff Pioneer One im Anfang Juli 2022 sprachen sich Vertreter aus Politik und Wirtschaft für eine gemeinsame europäische Strategie zur Sicherung der Gasversorgung aus. Die Österreichische Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler sieht bei der Krisenbewältigung Parallelen zur Pandemie. Was für Impfstoffe gelte, gelte auch für die Versorgung mit Energie. Man schaue in Europa aufeinander, so die Einschätzung von Edtstadler.

Die Sicherung der Gasversorgung lässt sich nur europäisch lösen – so ein Fazit der Diskussionsrunde mit Gabriel Felbermayr, Karoline Edtstadler, Michael Strugl und Günther Oettinger sowie Moderator Gabor Steingart. Bildquelle: Verbund

Wenn das Gas knapp ist,  entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen der  industriellen Produktion und dem Wärmemarkt. Gesucht werden Instrumente, um Preisanstiege zu dämpfen und Energie zu sparen. Der frühere EU-Energiekommissar Günther Oettinger betonte, dass die Wärmeversorgung für Privathaushalte nach deutschem Recht zwar Vorrang habe. Er sprach sich aber für eine Abwägung zwischen einer Raumtemperatur von 22 Grad und Produktionsausfällen in der Industrie mit Kurzarbeit und Insolvenzen aus.

Für die Wirtschaft wären die Auswirkungen von fehlenden Gasimporten massiv. Gabriel Felbermayr, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), befürchtet deutliche Wohlstandsverluste im kommenden Winter aufgrund von Produktionsrückgängen in der energieintensiven Industrie und anschließenden Kaskadeneffekten. Deutschland sei davon besonders betroffen. Im Unterschied zur Eurozone oder auch Österreich schrumpfe die deutsche Industrieproduktion bereits seit 2017 aufgrund hoher Unsicherheiten und steigender Energiepreise durch Energiewende.

Auch wenn die Wirtschaft langfristig auch ohne russisches Gas auskomme, könne die Gasmangellage dafür sorgen, dass die Inflation in Deutschland auf 18 Prozent steige, prognostizierte Felbermayr. Entscheidend sei für die kommenden Monate, dass Preissteigerungen nicht vollständig an die Haushalte weitergeben werden, um soziale Konflikte zu vermeiden.

Auswirkungen auf viele Teile der Wirtschaft

Die Auswirkungen eines Lieferstopps auf die deutsche Wirtschaft hat das Beratungsunternehmen Prognos im Auftrag der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft untersucht. Die Studie „Folgen einer Lieferunterbrechung russischen Gases für die deutsche Industrie“, erwartet negative wirtschaftliche Effekte ausgehend von einem möglichen Lieferausfall ab Juli 2022. Demnach wäre aufgrund gesetzlich festgelegter Mindestmengen in Gasspeichern und der Versorgung vorrangiger Kunden der Gasbedarf der Industrie nicht einmal zur Hälfte gedeckt. Die Studie erwartet mehr als 30 Prozent Produktionsrückgang bei der Verarbeitung von Glas, Stahl, Keramik, Nahrungsmittel, Druck, Chemie und Textilien.

Quelle: Prognos / vbw

 

 

Die Wertschöpfung der direkt betroffenen Branchen würde um 3,2 Prozent sinken, was einem Verlust von rund 49 Milliarden Euro entspreche. Dabei würde die Wertschöpfung in der Glasindustrie oder die Stahlverarbeitung um fast 50 Prozent sinken. Ähnliches gelte für die Chemie-, Keramik-, Nahrungsmittel-, und Textilbranche sowie das Druckereiwesen mit Wertschöpfungsverluste von über 30 Prozent. Durch indirekte Folgen seien zudem Dominoeffekte und eine Störung der Produktions- und Lieferketten zu erwarten.

Weiterführende Links:

Energie für Deutschland 2022: https://www.weltenergierat.de/publikationen/energie-fuer-deutschland/energie-fuer-deutschland-2022/

Paneldiskussion „Energiewende, aber sicher!“ an Bord der ThePioneer One:  https://www.youtube.com/watch?v=E4vcnS18P6A

Studie zu den Folgen einer Lieferunterbrechung bei Erdgas:https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Wirtschaftspolitik/2022/Downloads/vbw_Studie_Folgen_Lieferunterbrechung_von_russischem_Erdgas_Juni_2022.pdf

Bestandsaufnahme Energiewende im Januar 2022: Es gibt viel zu tun.

Handelsblatt-Energiegipfel 2022 in Berlin

Hybrider Branchentreff im Januar 2022: Online und auf der Bühne viel Diskussion um die Energiewende. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel

Der jährliche Branchentreffpunkt „Handelsblatt-Energiegipfel“ Mitte Januar zeigt die Agenda der aktuellen Energiethemen zu Beginn des neuen Jahres. Für 2022 fällt die Bilanz gemischt aus. Fortschritte bei der Dekarbonisierung gibt es, aber sie bleiben hinter den Zielen zurück. Gesucht wird die konkrete Gestaltung eines neuen Energiesystems und einer klimaneutralen Wirtschaft.

Auf der Branchenveranstaltung zum Jahresauftakt kamen Vertreter aus Energiewirtschaft, Verkehrssektor, Industrie, Politik und Wissenschaft in Berlin und digital zusammen und zeigten insgesamt ein großes Verständnis für den Transformationsprozess und die nötigen Schritte. Dekarbonisierung der Wirtschaft wird vor allem verstanden als eine Stromproduktion aus Strom aus Photovoltaik- und Windanlagen, Gaskraftwerke als Unterstützung sowie eine Wasserstoffinfrastruktur als Speichermedium und Rohstoffbasis für die industrielle Produktion insbesondere in der Chemie- und Stahlindustrie.

Das Ziel: Klimaneutralität und günstige Energieversorgung

Robert Habeck betonte die Notwendigkeit des Umbaus und der staatlichen Unterstützung. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz betonte die Notwendigkeit von Emissionssenkungen in allen Branchen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden könne. Er sieht in der Überwindung des fossilen Energiesystems zudem die Chance auf eine günstigere Energieversorgung durch erneuerbare Energien, wenn die nötige Infrastruktur mit Erzeugungsanlagen, Netzen und Elektrolyseuren erst einmal aufgebaut sei. Für Investitionen in die Dekarbonisierung kündigte er staatliche Unterstützung an.

Klimafreundliche Mobilität als persönliche Entscheidung

Neben Energiewirtschaft und Industrieproduktion ist die Transformation auch eine Aufgabe für den Verkehrssektor. Bundesverkehrsminister Volker Wissing appellierte an jeden einzelnen Bürger, einen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Ob E-Auto, Hybrid, Fahrrad oder öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) – jeder solle entscheiden, welche Form der klimafreundlichen Mobilität für ihn passe. In ländlichen Regionen werde weiterhin der Individualverkehr benötigt, während in den Metropolen ein dichtes Angebot durch den ÖPNV möglich sei. Viele Menschen wünschten sich zudem den Ausbau von Radwegen.

Die Vielfalt der Wege zu mehr Klimaschutz steht auch für den Prozess der Transformation als Ganzes. Zentral bleibt dabei die Frage, was grüne Energie ist und wie diese in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen kann. Auf europäischer Ebene wurde Ende 2021 in der EU-Taxonomie die Klimafreundlichkeit von Investitionsvorhaben definiert. Dieser Rahmen soll Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichten und damit  Finanzinvestoren die Bewertung erleichtern, ob eine Anlage nachhaltig im Sinne des Klimaschutzes ist.

EU-Taxonomie zur Bewertung grüner Investitionen umstritten

Auf dem Handelsblatt-Energiegipfel 2022 äußerten sich viele Branchenvertreter kritisch zu den jüngsten europäischen Vorgaben. Im Zentrum der Bedenken stehen die geplanten Bewertungen von Investitionen in Kern- und Gaskraftwerke. Aus deutscher Sicht ist unverständlich, dass die europäischen Vorgaben Investitionen in Atomkraftwerke als klimafreundliche Energieerzeugung einstufen. Zwar entsteht bei der Stromerzeugung kein CO2, allerdings wird die Technologie selbst und die damit verbundenen radioaktiven Abfälle in der deutschen Gesellschaft als ein zu großes Risiko wahrgenommen.

Kritisiert wurden zudem die Vorgaben der EU-Taxonomie für Gaskraftwerke als zu rigide. Die Branche sieht darin einen Widerspruch zum großen Bedarf in Deutschland an Backup-Kraftwerken als Ergänzung zur fluktuierenden Einspeisung aus Photovoltaik und Windanlagen. Die stark einschränkenden Vorgaben in Bezug auf  Größe und technische Ausstattung könnten zur Folge haben, dass Investitionen in Gaskraftwerke ausbleiben.

Abseits der Diskussionen über den Ausbau von Erzeugung, Netzen und Speichern mit vorhandenen Technologien entwickeln sich auch neue Verfahren der Energiegewinnung. Das Startup Marbel Fusion aus München stellte eine Methode vor, mit Lasertechnologie eine Kernfusion zu erzeugen. Die geplanten Kraftwerke sollen in der Lage sein, Strom CO2-frei und sicher zu erzeugen.

Keine Denkverbote: Diskussion über technische Möglichkeiten von Kernfusion, CO2-Abscheidung und Speicherung. Bildquelle: Handelsblatt-Energiegipfel.

Forschung an Fusionskraftwerken

Grundlegend für die Entwicklungen von Marbel Fusion sind Fortschritte bei Lasertechnik und Plasmaphysik. Insbesondere jüngste Innovationen der Laser- und Materialwissenschaft ermöglichten ultrakurzgepulstete, hochintensive Laser und nanostrukturierte Treibstoffe. Bei der Verwendung von Wasserstoff und Bor als Fusionstreibstoffe entstehen nach Unternehmensangaben keine problematischen Abfälle. Fusionskraftwerke könnten nach Einschätzung von Marvel Fusion ab den 2030er Jahren an bestehenden Kraftwerksstandorten alte Anlagen ersetzen und Ballungsräume und energieintensive Industrien versorgen.

https://marvelfusion.com

https://veranstaltungen.handelsblatt.com/energie/

Mehr als eine Idee: Wasserstoff anstelle von Erdgas

Für die einen ist das Gasnetz die Basis für eine CO2-neutrale Wirtschaft. Für die anderen ist es ein Relikt aus dem fossilen Zeitalter, das sie lieber heute als morgen hinter sich lassen möchten. Tatsächlich gibt es für beide Positionen gute Argumente, wie auf der Handelsblatt Jahrestagung Gas 2021 deutlich wurde. Bekannt sind vor allem die Einsparziele für die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren. Der Weg dorthin führt in großen Teilen durch unbekanntes Terrain.

Es ist ein Fakt, über den das Mutterland der Energiewende vielleicht lieber hinweg sehen würde: Auch nach über 20 Jahren Förderung der erneuerbaren Energien wird die Energieversorgung in Deutschland wesentlich durch fossile Energien gedeckt. Im ersten Halbjahr 2021 war Erdgas in Deutschland der wichtigste Primärenergieträger, gefolgt von Mineralöl. Strom aus erneuerbaren Energien belegte Platz 3, wobei die Produktion aus Wind im ersten Halbjahr 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 21 % niedriger als im stürmischeren Vorjahr.

Die Dimension des Gasverbrauchs in Deutschland ist ein Grund, weshalb viele Branchenvertreter davon ausgehen, dass auch in Zukunft weiterhin Gas durch das 511.000 km lange Netz strömen wird. Flexible Gaskraftwerke können die Stromversorgung absichern und so wetterbedingte Produktionsschwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen. Die Sicherheit der Stromversorgung lässt sich derzeit ohne Gas nicht vorstellen.

Heute Erdgas, übermorgen Wasserstoff – und morgen?

Bis 2045 – dem Jahr der Klimaneutralität – ist nicht mehr lange hin, daher lastet auf der Planung der künftig benötigten Infrastruktur ein enormer Zeitdruck. Ludwig Möhring, Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), unterstütze in der Online-Debatte die Zielsetzung einer Klimaneutralität und forderte, die Umsetzung zu gestalten. Er erwartete eine stärkere Elektrifizierung, vermisste aber eine Debatte über die Rolle von Gas im Wärmemarkt und in der Stromerzeugung. Das derzeitige Narrativ ermögliche keinen Weg zu einer Transformation.

Wie die Gasinfrastruktur in Zukunft genutzt werden kann, ist Gegenstand intensiver Diskussionen. In einer dekarbonisierten Wirtschaft soll Erdgas langfristig durch Wasserstoff ersetzt werden, der ebenfalls über ein Pipelinesystem transportiert werden könnte. Ob dieses künftig benötigte Leitungssystem allerdings mit dem heutigen vergleichbar ist, ist noch offen. Denn es lässt sich schwer prognostizieren, in welchem Maße Haushalte und Industriezentren Wasserstoff nutzen werden.

Von Erdgas zu Wasserstoff – mehr als ein Austausch der Moleküle

Wasserstoff, der über einen Elektrolyseur aus erneuerbarem Strom produziert wird, gilt als Königsweg einer künftigen Energiesystems. Klarer Vorteil ist die CO2-freie Energie mit hoher Dichte. Wasserstoff lässt sich ähnlich nutzen wie Erdgas, ist aber als Rohstoff um ein vielfaches teurer und stellt höhere Anforderungen an die Sicherheit. Ob die privaten Verbraucher künftig mit Wasserstoff heizen oder sich preiswertere Alternativen suchen, ist offen. Je nach Einschätzung wird Wasserstoff als Champagner oder Mineralwasser der Energiewende gesehen.

Im Prinzip lässt sich das Gasnetz auch für eine Beimischung von Wasserstoff nutzen. Dadurch lässt sich der Energiegehalt des Gases erhöhen – bei gleichzeitig geringeren CO2-Emissionen. Die bedeutet allerdings einige technische Veränderungen, um den Eigenschaften des Wasserstoffs Rechnung zu tragen.

So benötigt der Transport des trägeren Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas deutlich mehr Energie. Evgeniy Grin, PJSC Gazprom aus St. Petersburg, Russland, erläuterte, dass eine Beimischung von Wasserstoff mehr als viermal soviel Energie benötige, um auf einen Druck von 80 bar zu bekommen. Beimischungen seien auch aus einem anderen Grund problematisch: Viele Kunden benötigten reines Erdgas. Grin warnte zudem vor technischen Risiken von Lekagen, da das Pipelinesystem nicht dafür ausgelegt sei.

Transport von Erdgas und Wasserstoff im Vergleich

Auf der Suche nach Lösungen

Es gibt einige Antworten auf die vielen offenen Fragen des künftigen Energiesystems: Eine Strategie setzt auf maximale Offenheit. Neue Gaskraftwerke sollen grundsätzlich Wasserstoff-Ready sein, d.h. solange Erdgas verfügbar ist, sollen sie mit Erdgas laufen. Steht Wasserstoff zur Verfügung könnten sie auch den Strom aus Wasserstoff erzeugen. Roger Miesen, RWE Generation SE gibt allerdings zu bedenken, dass die Wasserstoffkraftwerke durch eine Wasserstoffpipeline versorgt werden müssten, die es heute noch nicht gebe. Ohnehin sei unklar, ob sich die Investition in ein Gaskraftwerk rechne, wenn dies nur als Back-up für fehlenden Strom aus Photovoltaik und Windanlangen in Betrieb sei.

Jochen Homann, Bundesnetzagentur, betonte die Bedeutung einer gründlichen Planung eines Wasserstoffnetzes. Diese hänge davon ab, wo der Wasserstoff eingesetzt werde. Homann hob die Bedeutung einer systemischen Gesamtschau und von klaren Zielvorgaben hervor, wo der Wasserstoff eingesetzt werden soll. Er berichtete von zahlreichen Projekten zur Produktion von Wasserstoff. Sollten diese alle umgesetzt werden, würde das sogar die erwartete Nachfrage übersteigen.

Bildquellen: Zukunft Gas; Gasprom

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