Ausbau erneuerbarer Energien: Konflikte müssen nicht im Streit enden

Streit kostet Geld und bremst die Dynamik. Um Konflikte beim Umbau der Energieversorgung zu vermeiden, wurde vor 15 Jahren die EEG/KWKG-Clearingstelle in Berlin gegründet. Diese bringt die Parteien zusammen und sucht pragmatische Lösungen.  Der gesamte Beitrag zu alternativen Wegen der Konfliktlösung ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 1/2023 erschienen.

Der Ausbau von Photovoltaik- und Windanlagen wird mit dem  “Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Dieses grundlegende Gesetzt hatte einmal als Strom-Einspeisungsgesetz mit einem Umfang von fünf übersichtlichen Paragrafen begonnen. Inzwischen zählt das Gesetzeswerk mehr als 800 Paragrafen.

Dass viele Fragen bei der Auslegung des EEG aufkommen können, hatte der Gesetzgeber schon vor 15 Jahren antizipiert: Die Clearingstelle geht auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages zurück und begründet sich formal auf die § 81 EEG, § 32a Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG). Sie arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, um Streitigkeiten bei der Auslegung des EEG, KWKG und des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) zu vermeiden.

Martin Winkler und Söhne Dibbern beim 44. Fachgespräch der Clearingstelle EEG | KWKG 2022. Bild: Clearingstelle

Insbesondere kleinere Anlagenbetreiber benötigen dazu oft eine rechtliche Beratung. Betreiber von Erzeugungsanlagen, Netzen und Messstellen wenden sich dann an die Clearingstelle EEG/KWKG. “Teilweise fehlt es im Gesetz auch noch an Regelungen, die die Realität der sich ändernden Energiewirtschaft abbilden,” berichtet Sönke Dibbern, Kaufmännischer Leiter der Clearingstelle EEG/KWKG.

Rechtslage nicht immer eindeutig

Im Unterschied zu einem Richterspruch, geht es der Clearingstelle darum, die Rechtssicherheit insgesamt für alle Beteiligten zu verbessern. „Die komplexen Gesetze können nicht jeden Einzelfall im Transformationsprozess regeln. Mit der Clearingstelle hat der Gesetzgeber ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen, das informiert, Stakeholder zusammenbringt und gerichtliche Verfahren vermeidet“, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Clearingstelle Martin Winkler.

Ulla Gläßer. Bild: Hoffotografen Berlin

Die Energietransformation ist eine anspruchsvolle Aufgabe für die Gesellschaft. „Konflikte zwischen Naturschutz und dem Ausbau erneuerbarer Energien sind ein komplexes Feld, bei dem Bürgerinitiativen, Gemeinden, Anlagenbetreiber gleichermaßen betroffen sind. Derartiges Konfliktpotenzial muss möglichst frühzeitig in Planungsverfahren aufgegriffen und unter Berücksichtigung aller Perspektiven bearbeitet werden. Gerichtsverfahren sind dazu wenig geeignet – zumal sie meistens viel zu spät im Planungsverlauf ansetzen können. Hier sind andere Verfahrensarten gefragt, die eine frühe, verständnis- und interessenorientierte Kommunikation mit allen Beteiligten ermöglichen,“ so Ulla Gläßer, Professorin für Mediation und Konfliktmanagement, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).

Unterschiedliche Interessen und Standpunkte gehören zum politischen System. „Die Gesellschaft verändert sich. Konflikte zeigen, dass sich Prozesse weiter entwickeln. Eskalierender Streit sollte vermieden werden, aber vollständige Konfliktvermeidung würde Stagnation bedeuten. Das würde die Energietransformation ausbremsen. Die Clearingstelle ist ein gutes Beispiel für ein effizientes Konfliktmanagement“, erläutert Gläßer.

Beim EEG müssen sich die Parteien selbst einigen

Thorsten Müller, Bild: Manuel Reger

Das EEG enthält zwar sehr viele Vorschriften zum Ausbau der erneuerbaren Energien, setzt aber nur den Rahmen für ein marktwirtschaftliches Fördersystem. „Das EEG hat die Besonderheit, dass nicht Behörden den Vollzug regeln, sondern sich die Parteien einigen müssen“, erläutert Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.

Für Betreiber kleiner Anlagen und Prosumer ist sind die rechtlichen Hintergründe oft unübersichtlich: „Der Aufwand eines Gerichtsverfahrens scheint in keinem guten Verhältnis zum Streitwert oder einem möglichen Nutzen zu stehen. Das kann dazu führen, dass die privaten Akteure aus einer sogenannten ‘rationalen Apathie’ darauf verzichten, ihre Rechte einzufordern. Ein ähnliches Phänomen kann man auch bei Verbraucherstreitigkeiten beobachten. Hier bietet die Clearingstelle niedrigschwellig und unaufwändig Zugang zu Konfliktklärung. Das ist sehr hilfreich,” resümiert Gläßer.

Erfahrungen für den weiteren Transformationsprozess

Wie viele Streitigkeiten die Clearingstelle schon vermieden hat, lässt sich nicht messen. Von 2007 bis 2021 wurden rund 14.000 Anfragen bearbeitet und in 90 Prozent der Fälle konnte das Anliegen durch die Mitarbeiter geklärt werden. Häufige Rechtsfragen betreffen die Mitteilungspflichten der Anlagenbetreiber, die Vergütung für den eingespeisten Strom, den Netzanschluss, die Messeinrichtungen und die Erweiterung einer bestehenden Anlage. Auch Gerichte erbitten regelmäßig inhaltliche Stellungnahmen zu Fragen des EEG und KWKG.

Aus der praktischen Arbeit werden Erfahrungen für die weitere Transformation des Energiesystems gesammelt. Für Winkler ist klar, dass der Prozess aus vielen kleinen Schritten besteht: „Dynamik und Transformation geht nur mit Menschen, die das täglich tun.“ Ein wichtiges Instrument sind Runde Tische, um Anliegen verschiedener Parteien zu klären.

www.clearingstelle-eeg-kwkg.de

Der gesamte Beitrag ist in der Zeitschrift EW – Magazin für die Energiewirtschaft 1/2023 erschienen.

 

Bürger müssen ihre Rolle in der Energiewende finden

Angela Wilkinson sieht die Bürger als wichtigen Akteur in der Energiewende.

Angela Wilkinson Generalsekretärin und CEO, World Energy Council (WEC) engagiert sich für eine “Humanising Energy Vision”. Bildquelle: WEC

Rezept Energiewende:
Man nehme neue Technologien, Investitionskapital und den passenden regulatorischen Rahmen? 
Ein zentraler Akteur im Transformationsprozess wird oft vergessen. Die Bürger müssen ihre Rolle in der Energiewende finden, sagt Angela Wilkinson, Generalsekretärin und CEO des World Energy Council, London, (WEC) im Interview mit der Zeitschrift ET – Energiewirtschaftliche Tagesfragen.

 

 

„Die Energiekrise ist der erste globale Nachfrageschock. Die Konsumenten haben sich gegen eine Abhängigkeit von russischem Gas entschieden.“

Nach Einschätzung von Wilkinson erleben wir 2022 etwas Neues in der Wirtschaftsgeschichte – den ersten globalen Nachfrageschock: Die Konsumenten haben entschieden, nicht mehr von russischem Gas abhängig sein zu wollen. Das hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Für Deutschland sieht Wilkinson mehrere Möglichkeiten, kurzfristig die Krise zu meistern. Dazu gehört die Nutzung der Kernenergie, der Bau vonTerminals für Flüssiggas (LNG) und der Ausbau der erneuerbaren Energien.

Mittelfristig ist die Energiezukunft mehrspurig, erläutert Wilkinson: Als Partner der Erneuerbaren werde Wasserstoff, Gas, CCS und flexible Speicher gleichermaßen benötigt. In der aktuellen Krise werde deutlich, dass in den letzten 20 Jahren wurde zu wenig in das Energiesystem investiert wurde. Es gebe ausreichend Öl, Gas, Wind, Sonne, Wasser. Aber es fehle an Technologien und einem System, das alles miteinander verbinde.

Das Grundproblem sei allerdings, dass viele Menschen nicht verstehen, worin der Nutzen der Energiewende für sie persönlich besteht. Sie sehen vor allem die Unternehmensprofite, beobachtet Wilkinson. Aber Energiewende sei nicht allein eine Technologiegeschichte, in der die gleichen Unternehmen anstelle von fossilen Brennstoffen künftig erneuerbare Energien oder Wasserstoff liefern.

„Energiewende funktioniert in kleinen Schritten. Dazu müssen Regierungen, Kommunen, Unternehmen und Bürger an einen Tisch.“

Im Transformationsprozess geht es vor allem um gesellschaftliche Veränderungen, betont Wilkinson. Menschen möchten eine bessere Zukunft. Dazu gehört eine saubere, unabhängige Energiewirtschaft und die gemeinschaftliche Teilhabe. “Wir müssen jetzt in lokale Energiegemeinschaften investieren, die die Arbeitsplätze schaffen und Fähigkeiten entwickeln”, fordert Wilkinson. “Solche Projekte brauchen zehn bis 15 Jahre bis sie wirksam werden”.

Dabei geht es nicht um Geld: “Geld ist eine Illusion. Der Weg zu einer neuen Energiegesellschaft führt nicht über Technologie und Geld sondern über Bürgerbeteiligung”, macht Wilkinson deutlich. In der Realität gebe es vor allem drei Knappheiten: Zeit, CO2 und Vertrauen. Zeit ist auch der limitierende Faktor für Humankapital. Vertrauen hat einen Effekt auf die Liquidität von Kapital.

Die Krise habe die Grundlagen der Nachhaltigkeit deutlich gemacht: Energie, Wasser und Nahrungsmittel seien bisher für viele selbstverständlich verfügbar gewesen. Nun interessierten sich die Menschen dafür, wo die Ressourcen herkommen.

„Hoffnung ist kein Lottoschein, mit dem man auf dem Sofa sitzt. Hoffnung gibt die Richtung des Handelns vor. Wir müssen gemeinsam an der Transformation arbeiten und eine neue Form der Verbindung untereinander finden.“

Wenn die Energiewende transparenter wird, werden mehr Menschen ihre Rolle verstehen und ihr Verhalten ändern. Das ist etwas anderes, als über die Reduktion von Emissionen, den Zubau von Anlagen oder die Höhe der Investitionen zu diskutieren. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten: So kann beispielweise eine App darüber informieren, wie Kaufentscheidungen die Dekarbonisierung beeinflussen. “Menschen wollen wissen, ob die Maßnahmen fair sind, schnell und weit genug gehen” sagt Wilkinson.

Das vollständige Interview ist in ET 11/2022 erschienen und online über www.energie.de  abrufbar.

Bildquelle: WEC

www.weltenergierat.de

www.worldenergy.org