Energiegipfel 2023: Das Krisenjahr 2022 hat Mut zur Veränderung gebracht

Das energiewirtschaftliche Jahr beginnt mit dem Handelsblatt-Energiegipfel in Berlin, der 2023 auch online verfolgt wurde. Der Traditionstermin überraschte mit Themen, die lange tabu waren: Über die Abscheidung von CO2 und Einspeicherung im Boden (Carbon-Capture-and-Storage – CCS), Flüssiggasimporte (Liquified Natural Gas – LNG), schwimmende Importterminals für Flüssiggas (Floating Storage and Regasification Unit – FSRU), europäische Industriestrompreise und Kapazitätsmärkte zur Förderung von Kraftwerksinvestitionen wurde intensiv diskutiert.

Handelsblatt-Energie-Gipfel 2023 in Berlin

Berlin-Mitte, bcc Berlin Congress Center am Alexanderplatz, 16.01.2023: Handelsblatt Energie Gipfel 2023: 
Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Foto: Dietmar Gust / EUROFORUM

Nach dem Krisenjahr 2022 zeigten sich Branchenvertreter verhalten zuversichtlich. Anfang Januar 2023 waren die Gasspeicher noch gut gefüllt und es war innerhalb weniger Monate gelungen, drei Flüssiggasterminals zu installieren und einen Teil der fehlenden Gasmengen aus Russland zu ersetzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stufte in seiner Rede die Krise als handhabbar, aber noch nicht beherrscht ein.

Etwas leiser waren die Stimmen, die die Hintergründe der relativ guten Versorgungslage mit Gas erläuterten. Von den geforderten Einsparungen waren bei den privaten Haushalten 14 Prozent erreicht worden, wie Klaus Müller, Bundesnetzagentur, ausführte. Andreas Feicht, Rheinenergie, berichtete, dass ein Großteil der Sparmaßnahmen von der Industrie erbracht worden sei, die Wärmeprozesse auf andere fossile Energieträger umgestellt hätten. Zeitweise sei es für Industrieunternehmen lukrativer gewesen, ihre langfristig eingekauften Energiemengen wieder am Markt zu verkaufen und die Produktion herunterzufahren. Für die Industrie habe es anstelle von Glas- oder Zementgeld Strom- und Gasgeld gegeben, brachte Maik Render, N-Ergie, die Entwicklung auf den Punkt.

CCS wird zur Option

Habeck betonte in seiner Rede die Bedeutung von CCS, was bisher in Deutschland verboten ist. Für eine Einlagerung von Kohlenstoff im Boden müssten geeignete Lagerstätten gefunden werden. Diese könnten auch im Ausland liegen, so dass ein grenzüberschreitender Handel möglich werden müsse. Beispielsweise habe Dänemark angekündigt, CO2 im Boden verpressen zu wollen.

Die wegweisende Aussage zu CCS wurde von der Branche mit Interesse verfolgt. Klaus Langemann, Wintershall, begrüßte die Ankündigungen des Wirtschaftsministers ausdrücklich. Das Unternehmen will Wasserstoff aus Erdgas – sogenannten blauen Wasserstoff – in Wilhelmshaven produzieren und das dabei entstehenden CO2 nach Norwegen exportieren. Im Projekt „NOR-GE“ planen Wintershall DEA und Equinor eine 900 Kilometer lange Pipeline zu Speicherstätten in Norwegen. Diese soll eine Transportkapazität von jährlich 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 haben, was nach Angaben von Wintershall DEA etwa zwanzig Prozent der Industrieemissionen pro Jahr in Deutschland entspricht.

Flüssiggasimporte sollen Gasversorgung sichern

LNG-Terminals waren in Deutschland schon seit vielen Jahren in der Planung. Die Umsetzung scheiterte vor allem an wirtschaftlichen Gründen. Die Preise für das importierte Flüssiggas per Tanker lagen deutlich höher als für die Gas-Lieferungen per Pipeline. 2022 änderte sich diese Situation und die vorgeplanten Projekte konnten schnell umgesetzt werden. Die Geschwindigkeit überraschte Politik, Wirtschaft und Behörden gleichermaßen und wurde als neue „Deutschlandgeschwindigkeit“ mehrfach zitiert. Mit diesen Erfahrungen wächst die Hoffnung, dass auch der Ausbau von erneuerbaren Energien deutlich schneller gehen kann.

Holger Kreetz, Uniper berichtet vom Spezialschiff Esperanza in Wilhelmshaven
– Handelsblatt Energiegipfel 2023 in Berlin am 17.01.2023 . Copyright: Marc-Steffen Unger

Marktregulierung bei Preisen und Investitionen

2022 war auch das Jahr der Markteingriffe: Übernahmen von Energieunternehmen durch den Staat und Eingriffe in die Preisdynamik waren kurzfristig notwendig, um die kritische Situation bei Unternehmen und Haushalten zu stabilisieren. Eine Rückkehr zu mehr Markt deutet sich derzeit nicht an. Habeck kündigte eine Regelung der Industriestrompreise ähnlich wie bei Haushaltkunden an. Diese müsse europäisch abgestimmt sein.

Wasserstoffwirtschaft in den Startlöchern

Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt gemessen an den Klimazielen langsam voran. Für 2023 hofft die Regierung, dass die gesetzlichen Änderungen für eine Beschleunigung sorgen. Daneben ist das große Ziel eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Bisher gibt es noch keinen Rechtsrahmen für ein Pipelinesystem, dass zum Teil durch einen Umbau der Gasleitungen entwickelt werden soll. Egbert Laege, SEFE – Security Energy für Europa, motivierte daher zu neuen Ideen und schlug vor, kurzfristig grünen Wasserstoff im Container aus Norwegen zu importieren.

Auch Kraftwerke sollen künftig so gebaut werden, dass sie zunächst mit Gas und später mit Wasserstoff betrieben werden können. Diese sogenannten „Peaker“ sollen nach Einschätzung von Habeck, die Aufgabe bekommen, als Backup für volatile Photovoltaik- und Windanlagen die Stromversorgung in wind- und sonnenarmen Zeiten zu sichern. Dabei sollten sie möglichst selten laufen. Wie sich ein solcher Einsatz für den Betreiber rechnet, wird im Rahmen eines neues Marktdesign noch diskutiert werden.

Zukunftstechnologien erweitern die Möglichkeiten

Ob sich die Energietransformation mit den heute vorhandenen Technologien umsetzen lässt ist offen. Ein wichtiger Schritt wäre eine Digitalisierung der Netzinfrastruktur mit Smart Metern. Hierzu hat der Wirtschaftsminister Ende 2022 einen Neustart angekündigt. Neben dieser von vielen Branchenvertretern als zentral eingeschätzten Investition könnte die Zukunft noch andere Möglichkeiten bringen.

Aus heutigen Forschungsprojekten lässt sich ableiten, dass die künftige Energieversorgung  noch nicht entschieden ist.  Josef Aschbacher, European Space Agency, erläuterte die Möglichkeit, Solarenergie im Weltall zu gewinnen. Das Unternehmen Climeworks berichtete von einer gestiegenen Nachfrage nach seiner Technologie, die CO2 aus der Luft filtert. Der gewonnene feste Kohlenstoff kann als Pflanzenkohle im Boden gespeichert werden. Auch die Atomenergie entwickelt sich global weiter. China beschäftige sich mit der Erforschung von Minireaktoren, berichtete Eveline Steinberger, The Blue Minds Company.

https://veranstaltungen.handelsblatt.com/energie/

Bildquelle: Handelsblatt-Energie-Gipfel

#HBEnergie

Gasförderung rückwärts: CO2-Einspeicherung in unterirdische Lagerstätten

Kohlendioxid (CO2) in der Erdatmosphäre ist gefährlich für das Weltklima. Wie verhält es sich aber in unterirdischen Speicherstätten? Drei europäische Nachbarländer erproben einen Weg, der in Deutschland verboten ist. Im Interview für die Zeitschrift ET-Energiewirtschaftliche Tagesfragen erläutern Hugo Dijkgraaf, CTO und Klaus Langemann, Senior Vice President Carbon Management & Hydrogen, Wintershall Dea die unterschiedlichen Einschätzungen zur Abscheidung und Einspeicherung von CO2 – Carbon Capture and Storage (CCS).

CCS ist umstritten: Während Befürworter in Europa die Technologie für unbedingt notwendig halten, um die Klimaziele von Paris überhaupt erreichen zu können, fehlt es bei der deutschen Bevölkerung an Akzeptanz. Dies spiegelt sich auch im gesetzlichen Rahmen: Bis 2016 waren Versuchsanlagen gestattet. Inzwischen ist die dauerhafte Speicherung von CO2 im Boden in Deutschland untersagt.

Diese negative Bewertung der CO2-Speicherung wird nicht überall geteilt. Das international tätige Unternehmen Wintershall Dea beobachtet, dass CCS auf der Agenda von sehr vielen Ländern ist. Auch die EU-Kommission ist überzeugt, dass sich die gesetzten Klimaziele ohne CCS gar nicht erreichen lassen. CCS wird insbesondere deshalb als notwendig angesehen, weil prozessbedingte Emissionen der Stahl- und Zementindustrie auf anderem Wege schwer vermeidbar sind. Auch lässt sich der sogenannte blaue Wasserstoff durch CO2-Abscheidung aus Erdgas gewinnen.

Hugo Dijkgraaf, Winterhall Dea Bildquelle: Wintershall Dea/Ludwig Schöpfer

Hugo Dijkgraaf, CTO und Klaus Langemann beschäftigen sich bei Wintershall Dea mit der Einspeicherung von CO2.  Das Unternehmen ist  Miteigentümer des seit vielen Jahren produzierenden Ölfeldes Nini West. Unter dem Projekt Greensand soll die ausgeförderte Lagerstätte künftig in einen CO2-Speicher umgebaut werden. Das Ölfeld sei nach vielen Dekaden der Förderung sehr gut bekannt, berichtet Dijkgraaf. Die dort vorhandene Infrastruktur von Plattformen, Bohrlöchern und Unterkünften für die Mitarbeiter lasse sich weiter nutzen. Im letzten Jahr habe DNV GL zertifiziert, dass eine CO2-Injektion an diesem Standort möglich ist. Ziel sei, in den nächsten zehn Jahren 500.000 Tonnen jährlich dort einzuspeichern.

CCS – ein neuer Name für erprobte Verfahren

Die Skepsis der Bevölkerung entstehe aus dem Missverständnis, dass CCS keine neue Technologie sei, sondern seit vielen Jahren erprobt, sicher und zuverlässig. Die Öl- und Gasbranche habe mehr als 100 Jahre Erfahrung damit, wie 300 Millionen Jahre alte Öl- und Gasvorkommen aus dem Boden gefördert werden. Die Injektion von CO2 sei quasi der umgekehrte Weg, erläutert Dijkgraaf.

Die Eigenschaften des CO2-Speichers seien vergleichbar mit Öl- oder Gasfeldern, betont Langemann. Benötigt werde ein Gestein mit einer gewissen Durchlässigkeit, so dass Wasser verdrängt und CO2 eingespeichert werden kann. Außerdem werde eine Deckschicht zum Abdichten z.B. aus Salz oder aus Schiefer benötigt. Das CO2 werde sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Carbonatgestein mineralisieren. Das sei dann zwar nicht ganz Marmor, aber ähnlich.

Geschäftsmodell CO2-Speicherung in den Niederlanden

Im Gegensatz zu Deutschland ermöglich der Rechtsrahmen in den Niederlanden CCS als Geschäftsfeld zu entwickeln. Das niederländisches Joint Venture von Wintershall Dea fördert Gas mit etwa 20 Offshore-Plattformen in der Nordsee. Viele dieser Quellen werden in den nächsten Jahren versiegen, so Dijkgraaf. Da biete es sich an, diese Infrastruktur für die Speicherung von CO2 zu nutzen. Von Vorteil sei zudem, dass die niederländischen Industriezentren an der Küste zwischen Rotterdam, Den Haag und Amsterdam liegen und teilweise über Pipelines mit den Plattformen verbunden sind.

Klaus Langemann, Wintershall Dea, Bildquelle: Wintershall/Ingmar Nolting

Die Niederlande haben selbst einen hohen Bedarf, CO2-Emissionen einzuspeichern, ergänzt Langemann. Ganz anders sei die Situation in Norwegen, dessen eigene CO2-Emissionen gering sind. Dort gebe es große CO2-Speichermöglichkeiten in sogenannten salinaren Aquiferen. Aquifere sind geologische Lagerstätten wie sie für Öl und Gas vorkommen, allerdings mit dem Unterschied, dass sich dort keine Öl- oder Gasvorkommen gesammelt haben. Eines der bekanntesten Projekte sei das Northern Lights Projekt, wo CO2 aus der Zementproduktion in Brevik eingelagert werde. Weitere CO2-Mengen könnten aus anderen Ländern Europas per Schiff nach Norwegen angeliefert werden und dann in den Speicher verbracht werden.

Langfristige Verantwortung noch offen

Offen sei die Frage, wer die langfristige Verantwortung für das gespeicherte CO2 trägt, betont Langemann. Aus seiner Sicht ist klar, dass dies kein privatwirtschaftliches Unternehmen langfristig übernehmen kann. Zudem war es bis 2019 in der EU verboten, CO2 zu verschiffen. Inzwischen ist der Export von CO2 möglich, wenn ein bilateraler Vertrag zwischen dem emittierenden Land und dem Speicherland vorliegt.

Dijkgraaf hofft, dass auch die Deutschen die klimapolitische Notwendigkeit und die Vorteile dieser Technologie realisieren werden. Kurzfristig ist er wenig optimistisch, dass sich der gesetzliche Rahmen in Deutschland für CCS ändern wird. Zumindest wird das Gesetz zur Demonstration der dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid (KSpG) regelmäßig evaluiert. Die nächste Überprüfung steht Ende 2022 an.

Das vollständige Interview ist in ET 5/2021 erschienen.

www.wintershalldea.com

 

 

Risiken durch Digitalisierung und Geopolitik

CF2Seit neun Jahren untersucht der Weltenergierat, mit welchen Energiethemen sich die Entscheider in der ganzen Welt bei Tag und Nacht beschäftigen. Die jüngsten Ergebnisse zeigen, dass die Risiken von Digitalisierung und Geopolitik heute stärker im Bewusstsein sind als in der Vergangenheit. Im Gespräch mit der Zeitschrift ew  – Magazin für die Energiewirtschaft erläutert Dr. Christoph Frei, Generalsekretär des World Energy Council (WEC) in London die Hintergründe.

Der Issues Monitor mißt jährlich die Dimensionen Dringlichkeit und die Unsicherheit in Bezug auf ein Thema. Die jüngsten Ergebnisse zeigen, dass Digitalisierung und Dekarbonisierung als Treiber des Transformationsprozesses den Befragten weltweit sehr präsent sind. Dazu gehören auch die Themen Speicher, Marktdesign, Digitalisierung sowie die Integration der fluktuierenden Stromerzeugung, berichtet Frei. Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung und die richtige Strategie sei in diesem Bereich sehr hoch. Neu hinzu gekommen sei unter den europäischen Energiemanagern eine starke Wahrnehmung von geopolitischen Risiken. Nord-Amerika und Russland werden als deutlich unsichere Partner wahrgenommen.

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