Mehr Bewusstsein für Energie und CO2

Anke Weidlich, Professorin am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH), Bildquelle: ESYS/Klaus Polkowski

Allein ein Umbau des Energiesystems wird nicht ausreichen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann. Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe Energiesysteme der Zukunft (ESYS) wird zusätzlich eine Nachfragereduktion, Prozessumstellungen in der Industrie und ein Kohlenstoffmanagement benötigt. Im Interview für die Zeitschrift ew – Magazin für die Energiewirtschaft erläutert Anke Weidlich, Professorin am Institut für Nachhaltige Technische Systeme (INATECH), wie ein bewussterer Umgang mit Energie künftig aussehen kann. 

Die ESYS-Studie hat mit “Suffizienz” einen neuen Begriff in die Debatte gebracht: Der etablierte heutige Lebensstil benötige viel Energie und habe sich auch nur so entwickeln können, weil Energie in der Vergangenheit günstig war, erläutert Weidlich. Suffizienz bedeute, dass ein reduzierter Endenergieverbrauch nicht notwendigerweise mit Wohlstandsverlust bedeutet. Es gehe darum, heutige Verbrauchsmuster dort zu ändern, wo sie mit weniger Energie auskommen könnten.

Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung überdenken

Als Beispiele nennt Weidlich Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung. Es gebe einen  hohen Anreiz, ein Stück außerhalb der Stadt auf großen Flächen zu bauen und dann lange Pendelwege in Kauf zu nehmen. Da sich mit dem Auto schnell große Strecken zurücklegen lasse, würden Pro-Kopf-Wohnfläche und Pendelstrecken insgesamt zunehmen. Menschen wollten aber nicht unbedingt viel Zeit im Auto verbringen, sondern Ziele erreichen, macht Weidlich deutlich.

Um beim Wohnen Effizienzen zu heben, sollte es für Menschen, die es praktischer finden, eine kleinere Fläche zu bewohnen auch günstiger werden, dieses umzusetzen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf sei auch deshalb so hoch, weil Menschen sehr lange in großen Häusern wohnen bleiben, die früher die ganze Familie beherbergt haben. Ein Umzug sei schwierig, wenn alte Mietverträge günstiger seinen als der Umzug in eine kleinere Wohnung.

Die Vorschläge der ESYS-Stellungnahme zielen darauf ab, die Lebensqualität bei niedrigerem Energieverbrauch auf gleichem Niveau zu halten. In einem Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien seien zwar zeitweise Überschüsse zu erwarten, aber insgesamt sei Energie eher knapp.  Bei der Umwandlung von Strom in andere Energieträger wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe gebe es zudem Verluste, so dass diese Energie nicht so günstig sein werde wie heute erdölbasierte Kraftstoffe. Für den Verkehrssektor werden kürzere Wege und einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs empfohlen. In Städten könne eine Priorisierung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs die Lebensqualität steigern.

Energiebedarf langfristig planen

Bei langfristiger Planung sie Energiessparen nicht notwendigerweise mit Einbußen in der Lebensqualität verbunden, betont Weidlich. So lasse sich bei der Wahl eines Autos oder einer Heizung der Energieverbrauch berücksichtigen. Wichtig sei daher ein Verständnis, dass CO2-intensive Lösungen deutlich teurer werden müssen. Wenn die Menschen wissen, wie der Pfad zu den Klimazielen aussehe, haben sie die Möglichkeit, die richtigen Lösungen zu wählen.

Zentrale Botschaft von ESYS ist, dass sehr viele Maßnahmen gleichzeitig umgesetzt werden müssen. Ein Vorankommen bei der Gebäudesanierung, der Elektromobilität und dem Ausbau von erneuerbaren Energien sei anspruchsvoll, aber bei entsprechender Prioritätensetzung durch die Politik machbar, macht Weidlich deutlich. Damit ergeben sich Pfade, die im Jahr 2045 netto-CO2-Emissionen von Null ermöglichen.

Das vollständige Interview ist in ew 5/2023 erschienen.

https://energiesysteme-zukunft.de/

ESYS-Stellungnahme: Wie wird Deutschland klimaneutral? Handlungsoptionen für Technologieumbau, Verbrauchsreduktion und Kohlenstoffmanagement

Bildquelle: ESYS – Klaus Polkowski